Deutung des Bestimmungswortes ´War-´ im Ortsnamen "Warstein"
Auszug aus einem bisher unveröffentlichten
Text
von Stefan Enste
J. Benders Deutung des Bestimmungswortes, ausgehend von „waren
d. i. wahren, schützen“, ist grundsätzlich möglich, sprachlich kaum zu beanstanden,
wie ja bereits oben dargestellt. Es bleibt allein die Korrektur anzumerken,
daß es sich um das altsächsische Verb waron / ´bewahren´
[1] handelt, ein °waren, wie
J. Bender angibt, ist dagegen im Altsächsischen nicht überliefert. Wie bereits
oben dargelegt, scheidet diese Erklärung aus topographischen Gründen für die
Siedlung Altenwarstein aus. Weiter hilft hier der Blick in die Etymologie des
altsächsischen Wortes waron / ´bewahren´. Denn hier liegt eine sogenannte
Abstrakt-Bildung vor, was bedeutet, daß aus einem ganz konkreten, sächlichen,
Ursprung abstrakte, übertragene Bedeutungen des Wortes gewonnen worden sind.
Eine weitere Abstrakt-Bildungen dieser Art ist as.
wara ´Schutz, Obhut´.
[2] Im Hintergrund dieser Abstrakt-Bildungen
steht jedoch ein germanisches *wer / *wor ´Zaun, Flechtwerk, Wehr,
gehegter Raum´. [3] Dieses läßt sich auf das indogermanische
*uer / *uor zurückführen, das Bedeutungen wie ´binden, anreihen,
drehen, biegen, verschließen, bedecken, schützen, abwehren´ umfaßt. [4] Um den Zusammenhang zwischen ´flechten´ und ´schützen´
zu verstehen, muß ein Blick auf die in der Vergangenheit übliche Form der Einhegung
geworfen werden. Zäune, Wände, Einfriedungen, aber auch wasserbauliche Anlagen
wurden aus biegsamen Zweigen geflochten. Stärkere Hölzer wurden in den Boden
gerammt, zwischen diese senkrechten Hölzer wurden dann schwächere Zeiweige eingeflochten.
Es gibt zahlreiche mittelalterliche Abbildungen solcher Flechtzäune.
So läßt sich auch das für das Bestimmungswort War- im Ortsnamen Warstein
eine Erklärung finden, die bei dieser konkreten Bedeutung des Bestimmungswortes
ansetzt. J. Hartig [5] und W. Foerste [6]
haben in zwei Aufsätzen in den sechziger Jahren grundlegende Aspekte
beleuchtet. Ausgangspunkt ist eine Urkunde Ludwigs des Frommen aus dem Jahr
832, in der folgende Formulierung vorkommt:
„Quae quia in similitudinem palorum quos incolae hocas vocant, construitur, gentilico nomine ab indigenis hocwar nuncupatur [...]“ [7]
´Die, weil sie in Form von Pfählen, die von den Bewohnern ´hocas´genannt werden, mit volkssprachlichem Namen von den Einheimischen ´hocwar´ genannt werden.´
In der lateinischen Urkunde stehen also zwei nichtlateinische
Wörter, die ausdrücklich als volkssprachlich gekennzeichnet werden, hocas
und hocwar. Ein Problem entsteht aus der unsicheren Überlieferung der
genannten Urkunde Ludwigs d. Frommen. Die Urkunde liegt nicht im Original vor,
sondern in einer Abschrift des 12. Jahrhunderts. Grundsätzlich ist bei solchen
Schenkungsurkunden der Fälschungsverdacht gegeben. Jedoch wird nicht daran gezweifelt,
daß der Abschrift ein echtes altes Diplom zugrundeliegt. Statt
dessen nehmen die Diplomatiker an, daß bei der Abschrift verschiedene
Erläuterungen – sog. Scholien – eingefügt worden sind. Durch diese späteren
Einschaltungen ist ein Text entstanden, der heute nicht mehr eindeutig zu entwirren
ist. Dadurch kam es zu der schwierigen und grammatisch sicher falschen Aussage,
mit hocas bezeichneten die Einheimischen ´Pfähle´. [8] Statt dessen zeigen alle anderen Belege für hok, daß
es die Grundbedeutung ´Ecke, Winkel´ hat. [9]
Aus dem Zusammenhang der Urkunde wird klar, daß es bei dem genannten hocwar
nur um eine aus Pfählen errichtete und dem Fischfang dienende Anlage handeln
kann. [10] J. Hartig führt noch weitere urkundliche Belege aus
der Zeit zwischen 1288 und 1617 für das Vorkommen der Wörter ware / wharen
/ vischwar im Weserraum an. [11] J. Hartig
[12] und W. Foerste [13]
zeigen nun auf, daß mit diesem hocwar ein gewinkeltes, also
hakenförmiges (daher hoc-!) Wehr gemeint ist, das in den Fluß hineingebaut
wurde. Diese Wehranlagen dienten dem Fischfang, mit ihnen konnten die Wege der
Fische im Fluß gelenkt werden, bis sie schließlich an einer geeigneten Stelle
gefangen werden konnten – die sogenannte ´Sperrfischerei´. [14]
Angelsächsisches Fischwehr aus
Colwick, Nottinghamshire, Rekonstruktion
Aus: Lampen, A.: Fischerei und Fischhandel im Mittelalter. S. 280, Abb. 13 |
Urkundliche Nachrichten über diese Form des Fischfangs liegen
hauptsächlich aus dem norddeutschen Raum vor.
[15] Dort war die Wehr- oder Sperrfischerei sehr verbreitet.
Archäologische Hinweise auf diese Form des Fischfangs haben sich nur in wenigen
Fällen erhalten. „Große Fischwehre sind leider noch seltener als Reusen erhalten.
Mittelalterliche Beispiele fehlen für das deutsche Gebiet völlig, da fundträchtige
Plätze wie z.B. alte Flußläufe bisher kaum untersucht wurden. Im Gegensatz dazu
wurden in England aufgrund einer intensiven Flußbettarchäologie in zahlreichen
Flüssen Fischwehre nachgewiesen und auch für Frankreich sind sie für die Flüsse
Dordogne und Charente archäologisch und historisch belegt.“
[16] Der archäologische Befund eine dieser mittelalterlichen
Anlagen wird folgendermaßen beschrieben: „Die Ausgrabung ergab eine doppelte
Pfostenreihe, die nach Norden hin umgefallen war [...]. Zwischen den Pfostenreihen,
die auf eine Länge von 14m untersucht werden konnten, befand sich Flechtwerk.
Die einzelnen Pfosten bestanden aus Eichenholz, waren 2,4m lang und ca 1m im
Erdboden eingetieft. Nach Norden war die Setzung, die nach dendrochronologischen
Untersuchungen in das 8./9. Jahrhundert datiert, durch eine flache Steinmauer
gesichert.“ [17]
Die Kapelle zu Altenwarstein – sicherlich der Kern der Siedlung Warsten –
liegt nur ca. 200 Meter von der Wester entfernt. Diese ufernahe Siedlung könnte
ihren Ortsnamen daher durchaus einer Einrichtung aus dem wasserbaulichen Bereich
verdanken, eben einem Wehr.
Ortsnamen aus solchen Fischfangeinrichtungen sind dabei keineswegs selten. [18] Eine solche Erklärung wird auch für einen anderen Ortsnamen
im Sauerland diskutiert, für Wormbach bei Schmallenberg. 1989 hat P. Derks –
in scharfer Auseinandersetzung mit den Spinnereien H. Kaminskis [19] – folgende Deutung des Ortsnamens Wormbach vorgetragen:
„Dann wäre Worunbach 1072 der Bach mit Flechtwerk, sei es als Fischzaun,
sei es als Schaltwerk zur Bewässerung anrainender Äcker, sei es als Uferbefestigung
zum Schutz vor Hochwasser.“
[20]
Häufiger als in Ortsnamen, wird ein Zusammenhang mit wasserbaulichen Anlagen
bei Gewässernamen angenommen. Ein Beispiel fließt in Warsteins direkter Nachbarschaft,
die Möhne. Die älteste bekannte Form dieses Flußnamens ist 1226 Moyne.
[21] Auch dieser Gewässernamen läßt sich durch die Sperrfischerei
erklären. J. Trier hat sich in seinem Aufsatz Versuch über Flußnamen
zwar auf den ´großen Bruder´ der Möhne – den Main – bezogen, jedoch sind diese
beiden Flußnamen so eng verwandt, daß für die Möhne gilt, was über den Main
gesagt wird: „Nun ist die indogermanische Basis *mein- (Hochstufe) /
*moin- (Abtönung) / *min- (Schwundstufe) als Basis mit Zaunsinn
bekannt. Der Zaunsinn zeigt sich am deutlichsten in lat. [lateinisch] moenia
´Stadtmauer´ und in lat. munire ´befestigen´, beide abtönend. Da liegt
es nahe, alteuropäisch Moinos, die älteste bezeugte Namensform [des Mains],
gleichfalls abtönend, der genannten Basis anzuschließen und den Flußnamen aus
zaunartigen Fischfanggerüsten herzuleiten.“
[22] Zwar ist diese Erklärung der Flußnamen vom Typ ´Main/Möhne´
nicht unumstritten, sie erscheint jedoch nachvollziehbarer, als die verschiedenen
Versuche, in diesen Flußnamen entweder direkt keltisches Erbe [23] oder zumindest vorgermanische Spuren finden zu wollen.
So z. B. H. Krahe, der Flußnamen dieses Typs „etymologisch mit lett. [= lettisch]
maina, li. [= litauisch] maiva »Sumpf« verknüpft.“
[24] Er geht davon aus, die Flußnamen
vom Typ Möhne/Main könnten nicht einer einzelnen Sprache oder einem einzelnen
Volksverband zugeordnet werden, vielmehr werde „es sich um einzelsprachliche
Fortsetzung und Verzweigung einer grundsprachlichen Wurzel handeln, die dank
ihrer Bedeutung als Grundlage von Gewässerbenennungen besonders geeignet war.“ [25] Grundsätzlich stimmen J. Trier und H. Krahe somit überein,
jedoch gehen sie von unterschiedlichen Bedeutungen der voreinzelsprachlichen
Schicht aus. Hatte J. Trier einen Zaun- und Gerüstsinn angenommen, setzt H.
Krahe bei einem eher beschreibenden ´Sumpf´ an. Dahinter steht J. Triers grundlegend
anderer etymologischer Ansatz. Während häufig versucht wird Namen und Benennungen
als Ergebnis von Beobachtung und Beschreibung eines Gegenstandes oder Phänomens
zu erklären, geht J. Triers sog. ergologischer Ansatz davon aus, daß
Benennungen ihren Ausgangspunkt bei der Arbeit des Menschen haben. [26]
Die Möhne wird dann nicht nach ihrer (beobachtbaren) Sumpfigkeit
benannt, sondern nach ihrer Nützlichkeit, ihrer Bedeutung für die Arbeit des
Menschen beim Fischfang oder bei der Bewässerung der Felder. Daß es Sperrfischerei
in der Möhne gegeben hat, ist dabei urkundlich abgesichert. In einer Urkunde
von 1247 verkauft Graf Gottfried von Arnsberg dem Kloster Himmelpforten die
Fischerei in der Möhne. Dort heißt es: „Preterea piscationem aque que ab
eo termino qui slacht dicitur incipit et usque ad extremam partem septorum eiusdem
ecclesie protentitur ex opposita parte directe libera voluntate contulimus eidem
suis usibus perpetuo disponendam.“
[27]
E. Barth deutet einen weiteren Gewässernamen im Sauerland in diese Richtung,
den Namen der Wermecke, die zum Gierskoppbach fließt: „Vielleicht kann das BW
[Bestimmungswort] zu mnd. wer, were »Hindernis, Stauwehr, Fischwehr«
[...] gestellt werden.“ [28]
Auch der Name des Flüßchens Bumecke, die
unterhalb des Lattenberges zur Großen Schmalenau fließt, könnte einen Hinweis
auf die Fischerei enthalten. F. Witt stellt diesen Gewässernamen zu „bûne, mnd.
[mittelniederdeutsch] bûne »zaun oder schlengenwerk, vor welchem
die fische bei ablauf der flut liegen bleiben«“
[29] Das ist schon deshalb interessant,
weil auf der ersten topographischen Karte im Maßstab 1:25.000, dem sog. Urmeßtischblatt
von 1839, eine Fischerhütte an der Bumecke eingezeichnet ist. [30]
Die Deutung des Bestimmungswortes War- im Ortsnamen Warstein als ´Wehr´ ist
also sprachlich möglich und fügt sich auch sinnvoll in einen topographischen
und historischen Zusammenhang ein. Es gibt jedoch noch ein weiteres Argument,
das geeignet ist, diese Deutung zu stützen – ein besonderer Glücksfall in der
ansonsten eher mageren urkundlichen Überlieferung Warsteins. Auf das philologisch
erschlossene Wehr an der Wester gibt es in einer Mescheder Urkunde von 1438/39
einen Hinweis. Dort ist im Zusammenhang mit Grundstückstausch zu lesen: „1½
Morgen unter Alden Warsten neben der Slaghe“
[31] Mit dieser Slaghe kann nur eine ´Schlacht´ gemeint
sein, ein Stauwerk, eine wasserbauliche Anlage in der Wester.
[32]
Interessant ist, daß das Wort ´Schlacht´, wie vorher schon das
Wort ´Wehr´, deutliche Hinweise auf die Art und Weise gibt, wie solche Anlagen
in Flüssen und Bächen errichtet worden sind. Hatte die etymologische Betrachtung
des Wortes ´Wehr´ gezeigt, daß ein Wehr durch das Verdrehen und Flechten von
Zweigen gefertigt wurde, so gibt die Etymologie der ´Schlacht´ einen Hinweis
auf die Gewinnung des Baumaterials. In ihrer Dissertation Studien zur Sippe
von d. [deutsch] schlagen schreibt D. Ader dazu: „So bekommt Schlacht
´Befestigung´, ´Damm´, ´Deich´ vom Herstellungsmaterial seinen Namen, von dem
Material, das seinerseits durch Abschlagen gewonnen wird und in die Ausschlagwirtschaft
eingebunden ist, weil es nur hier in ausreichenden Mengen produziert werden
kann.“ [33] Kurz gefaßt bedeutet das: Die Schlacht heißt
so, weil ihr Baumaterial von Bäumen abgeschlagen wird.
Um das zu verstehen, ist ein kleiner Ausflug in den Wald unverzichtbar, jedoch
nicht in den Wald, wie wir ihn heute kennen. Statt dessen geht es in den Niederwald, also in eine heute
fast vollständig verschwundene Form des Wirtschaftswaldes. Heute ist der Hochwald
die am weitesten verbreitete Betriebsart in der Forstwirtschaft.
[34] Damit ist nicht etwa die Höhe der Bäume gemeint, auch
kniehohe Fichten können Hochwald sein. Hochwald bezeichnet eine Betriebsform,
bei der die Bäume gepflanzt werden (bzw. in Naturverjüngung sich selbst vermehren)
und bis zur Schlagreife stehenbleiben. Ziel dieser Wirtschaftsform ist starkes
Stammholz. „Beim Niederwald werden die Laubhölzer oder – seltener – die Sträucher,
z. B. Haselnuß, im relativ frühen Alter flächenweise auf den Stock gesetzt [=
abgeschlagen, abgesägt], d. h. es erfolgt etwa alle 20 Jahre ein Kahlschlag,
der sich durch Austriebe aus den Stöcken, den sog. Stockausschlägen, allmählich
wieder zu einem stammzahlreichen Gehölz schließt. In den ersten Jahren nach
dem Abtrieb erfolgte meist eine landwirtschaftliche Zwischennutzung, z. B. mit
Getreide, seltener auch eine Beweidung oder Futterlaubgewinnung. Die Stockausschläge
erreichten in der vorgegebenen Zeit eine geringere Höhe als die aus Samen gezogenen
Kernwüchse des geschlossenen Hochwaldes und waren auch schwächer, so daß Bauholz
im Niederwald nicht gewonnen werden konnte.“ [35] Im Niederwald geht es also um die Gewinnung einer möglichst
großen Menge an Holz, wobei man dünnere Stämme in Kauf nehmen muß. Das so gewonnene
Holz wurde häufig als Brennholz genutzt. Weiterhin brauchte man das Holz aus
dem Niederwald für verschiedene Bereiche im Siedlungsbau. Die Stämme waren nicht
stark genug, um tragende Konstruktionen aus ihnen zu zimmern; für die Ausfachungen
des Fachwerks, [36] für Flechtzäune und im Wasserbau waren die unterschiedlich
starken und meist biegsamen Hölzer jedoch bestens geeignet.
Diese Form der Waldwirtschaft ist für den westfälischen Raum seit einiger Zeit
auch durch archäologische Beobachtungen gesichert. Bei Ausgrabungen in Soest
wurden auf dem Gelände ehemaliger Salzsiederhütten Brennholzreste gefunden. [37]
Die nähere Untersuchung ergab, daß hier Brennholzreste vorlagen,
die in einer „geregelten Holznutzung im Rahmen einer Niederwaldwirtschaft“ [38] gewonnen worden waren. Am gleichen Ort wurden Eichenholzpfähle
gefunden. Die dendrochronologische Datierung ergab einen Fällzeitpunkt dieser
Hölzer zwischen 595 und 636 n. Chr. [39]
In Warstein weisen allein einige Flurnamen daraufhin, daß die Betriebsform Niederwald
einmal weit verbreitet gewesen ist.
Der älteste überlieferte Flurnamen Warsteins ist Aslon.
Dieser wird schon 1214 in der ersten sicher datierten Urkunde erwähnt, in der
der Ortsname Warstein erscheint. [40] Hier ist an einen mit Eschen bestockten Niederwald,
also einen ´Eschen-Loh´ zu denken.
[41] Die Esche hat in der Niederwaldwirtschaft vor allem
zur Gewinnung von Laubheu zur Viehfütterung gedient. [42] „Seit dem Neol. [= Neolithikum, der Jungsteinzeit] ist
die E. [= Esche] zusammen mit den Ulmen einer der wichtigsten Bäume für die
Gewinnung von Laubheu. Durch das in mehrjährigem Abstand durchgeführte Abschneiden
der Zweige, das sog. Schneiteln, wird im Herbst Laub gewonnen, das getrocknet
wird und für die Winterfütterung des Viehs Verwendung findet. Diese Laubheugewinnung
hat bis in die Neuzeit eine erhebliche Bedeutung gehabt.“ [43] Daß es solche Laubheugewinnung auch in der Umgebung
Warsteins gegeben hat, ist sicher nachgewiesen. Die Soester Holzordnung von
1590 verbietet unter Punkt 20 nämlich ausdrücklich das Laubstreuffen.
Ziel dieser forstlichen Anordnung ist die Gewinnung von starkem Holz, eine Eindämmung
der Nutzung der Stockausschläge; so heißt es auch unter Punkt 12: „Unterholz,
Heister und Buchenstämme sollen geschont und nicht abgehauen werden.“ [44]
Laubheu wurde also von den Bäumen gestreift, gerupft oder gerauft.
Waldflächen, die der Gewinnung von Laubheu dienten, konnten durchaus auch zur
Bildung von Ortsnamen führen, wie überhaupt dem Bereich der Niederwaldwirtschaft
eine ganze Reihe von Ortsnamen entstammen. [45]
So verweist der Ortsname Ruploh deutlich auf die Laubheugewinnung. [46] Im Bestimmungswort ist das Altsächsische beropta
´berupfen´ [47]
, mittelniederdeutsch ropen, roppen, rofen ´rupfen,
raufen, zausen´ [48]
enthalten. [49] Dieser Ortsname bezeichnet also eigentlich einen Wald
(Loh), in dem Futterlaub von den Ästen abgerupft wurde.
Ein weiterer Name, der in diesen Bereich gehört ist der Flurname Widei
[50] und, damit zusammenhängend, der Gewässername Widey-Bach.
Im ersten Teil des Flurnamens verbirgt sich die Weide, mittelniederdeutsch wide. [51] Beim zweiten Teil handelt es sich um ein häufiges Kollektivsuffix,
[52] also ein Anhängsel, das die Vielzahl der im ersten Teil
des Wortes genannten Gegenstände verdeutlicht. Man könnte den Flurnamen Widei
also vielleicht als ´das Geweide´ übersetzen. Die schnellwüchsige, leicht zu
verarbeitende Weide ist zur Anlage von Flechtwerk bekanntermaßen besonders gut
geeignet. Ihre Ausschlagfähigkeit ist beim Verbauen von Ufern und bei anderen
wasserbaulichen Einrichtungen willkommen. Ein Fischwehr im Bereich Altenwarstein
könnte aus Weidenästen angefertigt worden sein, die in der gleich benachbart
gelegenen Flur Widei gewonnen worden sind.
Ganz ähnlich ist auch der Flurname Risnei gebildet, der 1419 als Rysneye
[53] und 1438 als Risnee
[54] begegnet. Der erste Teil des Flurnamens enthält unser
heutiges Wort ´Reisig´, altsächsisch rise
[55] , mittelniederdeutsch rîs [56] . Ansonsten ist es genauso gebildet, wie
schon oben der Flurname Widei.
Ein weiterer Flurname aus dem Niederwald ist im Aspeluer [57] oder Aspenloer
[58] Weg enthalten. Das Bestimmungswort bezeichnet
die Baumart Espe/Aspe. [59] Das Grundwort ist ´Loh´, eine ganz typische Bezeichnung
für einen Niederwald, die oben schon in der alten Bezeichnung Aslon begegnete.
Diese Bezeichnung für den Niederwald erscheint jedoch nicht nur als Grundwort
in Flurnamen, in der Umgebung Warsteins findet es sich auch einmal als Bestimmungswort:
Lobussche [60] / Lobusche [61] . Das Grundwort ist eindeutig und auch heute sofort als
Bezeichnung für eine mit Sträuchern und niedrigen Bäumen bestandene Fläche verständlich:
Busch. Das Bestimmungswort läßt sich auf zwei verschiedene Arten näher deuten.
Einmal kann Lobusch als fester Begriff für eine Niederwaldfläche verstanden
werden. J. Trier führt als typische „volkstümliche, örtlich beschränkte, besondere
Nutzungsweisen ins Auge fassende und deshalb sich im Inhalt nicht ganz deckende
Bezeichnungen des Niederwalds“ Bezeichnungen wie „Lohwiese, Lohheide, [...]
Reisbusch“ [62] an. Andererseits könnte Lo- aber auch einen Hinweis
auf das hier gewonnene Material enthalten. Dann wäre mit Lobusch eine Niederwaldfläche
bezeichnet, auf der Baumrinde gewonnen wurde, die man z. B. zum Gerben von Leder
brauchte. [63]
Über die Bedeutung des Fischfangs im Warsteiner Raum können
leider nur sehr wenige Aussagen gemacht werden. J. Bender notiert in seinen
Anmerkungen über die Range: „Ihre starken Quellen sind an der Grenze von Suttrop,
und sie ist, besonders nachdem sie ausgeblieben, fischreich, auch bewässert
sie mehrere Wiesen.“ [64] An anderer Stelle heißt es bei ihm: „Die Fischerei.
Diese konnte bis dahin jeder benutzen, der wollte. Man beschloß aber dieselbe
zu verpachten und die Contraagenten zu bestrafen.“ [65] Interessant ist der Hinweis J. Benders auf das ´Ausbleiben´
der Range. Bei der Quelle der Range handelt es sich um eine Karstquelle, deren
Schüttung abhängig ist von der Höhe des Karstgrundwasserspiegels. Daher schwankt
die Schüttung der Rangequelle sehr stark, liegt zwischen 0 und 336 l/s.
[66] Es besteht eine direkte hydrologische Verbindung zwischen
den Versickerungen des Enke- und Wäschebaches und der Rangequelle. [67] Ein ähnliches Phänomen wird 1819 auch in einer offiziellen
Beschreibung des Regierungs-Bezirkes Arnsberg beschrieben: „Auch trifft
man hier die Erscheinung an, daß nicht unbeträchtliche Bäche versiegen und in
einer Entfernung verstärkt und zugleich fischreich wieder zum Vorschein kommen.
z. B. die Hönne bei Clusenstein, die Alme bei Brilon und die Wester zu Warstein,
die noch die Eigenthümlichkeit haben soll, daß sie selbst bei der strengsten
Kälte nie zufriert.“ [68]
Diese Hinweise sind – mindestens 600 Jahre nach der hier interessierenden Zeit
des frühen und hohen Mittelalters nur von sehr begrenztem Wert. Wenn es aber
um 1844 nutzbare Fischbestände in Warstein gegeben hat, dann spricht selbstverständlich
alles dafür, daß es solche erst recht im Mittelalter gegeben hat. Eine interessante
Frage ist dabei, wie sich die Bedingungen für Fische in den Warsteiner Gewässern
durch die Jahrhunderte entwickelt haben. Die verhältnismäßig frühe Industrialisierung
des Warsteiner Raumes, die Eisen- und Buntmetallverarbeitung, [69] legt nahe, daß durch Staustufen und Wasserverschmutzung
die Fischbestände der Wester im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit
deutlich geringer waren als im hohen und frühen Mittelalter. Die Umweltbelastungen,
die der frühe Erzbergbau, die Metallverhüttung und die Metallverarbeitung hervorriefen,
waren enorm. Da sich dieser Bergbau häufig in Gebieten abspielte, in denen heute
kaum noch Spuren dieser frühen Industrialisierung zu erkennen sind – beispielsweise
dem Harz oder eben auch dem Sauerland – fällt es um so schwerer, sich ein zutreffendes
Bild von den Ausmaßen der Zerstörung zu machen. Ein zeitgenössischer Bericht
liegt von Georg Agricola vor, der 1556 in seinem bekannten Werk De Re Metallica
die Argumente der Bergbaugegner mit folgenden Worten widergibt: „Durch das Schürfen
nach Erz werden die Felder verwüstet. [...] Wälder und Haine werden umgehauen,
denn man bedarf zahlloser Hölzer für die Gebäude und das Gezeug sowie, um die
Erze zu schmelzen. Durch das Niederlegen der Wälder und Haine aber werden die
Vögel und andren Tiere ausgerottet, von denen sehr viele den Menschen als feine
und angenehme Speise dienen. Die Erze werden gewaschen; durch dieses Waschen
aber werden, weil es die Bäche und Flüsse vergiftet, die Fische entweder aus
ihnen vertrieben oder getötet.“ [70]
Die Wester zeichnet sich gerade unterhalb des Siedlungsplatzes Alten-Warstein
durch eine schon mehrfach erwähnte Besonderheit aus: Da sie hier auf den südlichen
Warsteiner Massenkalkzug trifft, kann ihr Wasser in trockenen Monaten vollkommen
im klüftigen Kalkstein versickern. Es ist sehr gut vorstellbar, daß ein Fischwehr
an dieser Stelle verhindern sollte, daß mit dem Rückzug des Wassers auch ein
Rückzug der Fische in stets wasserführende Abschnitte unterhalb oder oberhalb
des Massenkalkzuges erfolgte. Die so zurückgehaltenen Fische wären nach endgültigem
Versickern der Wester dann vom trockenen Flußbett bequem aufzusammeln gewesen.
Fazit:
Das alles betrachtend, erscheint die Deutung der ersten Silbe des Ortsnamens War-sten, des Bestimmungswortes, als ´Wehr, Fischzaun´ als gesichert.
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Witt, Fritz: Beiträge zur Kenntnis der Flußnamen Nordwestdeutschlands. Diss. Kiel: 1912
Zundel, Rolf: Einführung in die Forstwissenschaft. Stuttgart: 1990 (= UTB, 1557)
Anmerkungen
[70] Zitiert nach Goldenberg, G.: Frühe Umweltbelastungen. S. 107.
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