Adam
und Eva
1. Geschichtliche Betrachtung der Bibel
Um heute einen angemessenen und verantwortenden Zugang
zum biblischen Schöpfungsbericht zu bekommen, ist der kritische Blick auf
die Bibel unumgänglich. Kritisch heißt dabei nicht, daß in
landläufiger Wortbedeutung ´kritisiert´ wird, was in der Bibel
steht. Kritisch heißt hier, mit wissenschaftlichem, analytischen Blick
an den Text heranzugehen, mit dem Blick des Historikers, des Textwissenschaftlers.
Wie jeder Text der Weltliteratur ist auch die Bibel zu einer bestimmten Zeit,
an einem bestimmten Ort, unter ganz bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen
entstanden.
Dennoch das schon vorweg gerade dieser kritische Blick wird immer
wieder zum staunenden Blick, der gerade im Vergleich mit den anderen Texten,
mit den anderen Kulturen das ganz Besondere und Einmalige der Bibel erkennt.
In allerkürzester Form sei deshalb hier vorgetragen, welchen Weg der biblische
Schöpfungsbericht von der Antike bis in unsere Zeit genommen hat.
Gerade an den ersten Texten der Bibel wurden schon früh interessante Beobachtungen
gemacht, an der Schöpfungserzählung, an der Sintfluterzählung,
an der Geschichte vom Durchzug durch das Rote Meer: In diesen Erzählungen
gab es Dopplungen, kleine Widersprüchlichkeiten, unterschiedliche Namensformen
und ähnliches. Und so entstand im 19. Jahrhundert eine Theorie, mit deren
Hilfe man sich die Entstehung der ersten Bücher des Alten Testaments erklären
konnte. Diese Theorie geht davon aus, daß die ersten 4 Bücher des
AT (Genesis, Exodus, Levitikus und Numeri), als deren Verfasser traditionell
Mose selbst galt, daß diese vier Bücher eine kunstvolle Zusammenstellung
verschiedener älterer Bücher und Quellen darstellen.
In ihrer ´klassischen´ Ausprägung geht diese Theorie von 4
Quellen aus, die zwischen 950 v.Chr. und 550 v.Chr. entstanden sind, schließlich
etwa um 400 v.Chr. in Jerusalem zu einem neuen Gesamtwerk zusammengefaßt
worden sind, eben zu den ersten 5 Büchern der Bibel, die noch heute die
ersten Seiten jeder Bibel bilden.
Die Sprache dieser Bücher war und ist Hebräisch. Kurz nach der Komposition
der ´Fünf Bücher Mose´ wurde im 3. Jh. die erste griechische
Übersetzung angefertigt, die sogenannte Septuaginta . Griechisch war damals
bereits neben den verschiedenen Muttersprachen die allgemeine Umgangssprache
im ganzen östlichen Mittelmeerraum. Wenn im Neuen Testament aus dem Alten
Testament zitiert wird, beispielsweise von Paulus in seinen verschiedenen Briefen,
dann wird aus der Septuaginta zitiert.
Im 4. Jh. nach Chr. wurde schließlich die Vulgata geschaffen, die wichtigste
lateinische Übersetzung der Bibel. Sie hat in der katholischen Kirche bis
heute große Bedeutung.
Zwar gab es bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts bereits eine ganze Reihe deutscher
Bibelübersetzungen, aber wirklich bedeutend wurde nur die zwischen 1522
und 1545 erschienene Übersetzung von Martin Luther bis heute die
maßgebliche Bibelausgabe der evangelischen Kirchen.
Für den katholischen Bereich ist die Einheitsübersetzung vergleichbar.
Sie wurde 1980 neu aus den Originaltexten übersetzt und ist die offizielle
Bibelausgabe für den Gebrauch in der Liturgie (Lesungen, Evangelien, Psalmen,...).
Heute gehen wir dennoch von einer anderen Übersetzung aus. In den 20´er
Jahren begannen die beiden bedeutenden jüdischen Gelehrten Martin Buber
und Franz Rosenzweig eine Übersetzung des Alten Testaments. Dabei haben
sie versucht, der hebräischen Sprache des Originals so nahe, wie eben möglich
zu kommen bis dahin, daß sie neue Worte geschaffen haben, um schwer
übersetzbare hebräische Worte zu ´verdeutschen´. Der Vorteil
dieser Übersetzung: Sie ist unseren Ohren fremd, man muß genauer
hinhören, ist dem Original näher.
2. Genesis 3 4 als ´mythologischer Text´
Um die Erzählung von der Erschaffung der Menschen
und vom ´Sündenfall´ verstehen zu können, ist es wichtig,
sich die Textsorte, die Art, den Charakter dieses Textes vor Augen zu halten.
Es handelt sich hier um einen mythologischen Text. Der Mythos versucht, die
Welt zu erklären. Er versucht das anders als die heutige Wissenschaft
durch eine Erzählung. Diese Erzählung will zeigen, warum bestimmte
Dinge, Erscheinungen, Namen, Handlungsweisen, Gesellschaftssysteme sind wie
sie sind. Den Grund für die Zustände der Gegenwart sucht der Mythos
in der Vergangenheit aber in der Vergangenheit jenseits der Geschichte.
Die Zeit des Mythos ist nicht in ´Jahren vor heute´ anzugeben. Der
Mythos spielt ´im Anfang´, oder zu einer Zeit ´als die Welt
noch nicht war´. Der Mythos ist also der normalen, ablaufenden Zeit entrückt,
er spielt außerhalb der Zeit, was letztlich bedeutet: Er ist immer gültig.
Der Mythos ist der Weg vormoderner Kulturen, die Welt zu erklären. Damit
liegt ein grundlegend anderer Weg vor, als unser technisch-wissenschaftlicher
Weg der Welterklärung.
Im alten Israel stand man den verschiedenen Mythen der Nachbarvölker sehr
kritisch und ablehnend gegenüber. Erzählungen vom Kampf der verschiedenen
Götter und Dämonen vertrugen sich nicht mit der Lehre vom einen und
einzigen Gott Israels.
Dennoch: Auch die Bibel kann nicht wirklich auf den Mythos verzichten. Wenn
es um die Erschaffung der Welt und des Menschen geht, dann knüpft die Bibel
an die Mythen der Nachbarvölker an. Aber die Bibel wahrt die Distanz: Über
dem Mythos steht immer der Gott Israels. Wenn Sonne, Mond und die Sterne des
Himmels bei den benachbarten Völkern mächtige Gottheiten oder Schicksalskünder
waren im Schöpfungsbericht der Bibel heißt es nur knapp: Und
Gott machte die beiden großen Lichter [...] und die Sterne..
Im Laufe der Jahrhunderte ist dem Christentum das Verständnis für
den großen Wert mythischer Erzählungen immer mehr abhanden gekommen.
Die Bibel wurde reduziert, verkürzt, zum Tatsachenbericht degradiert. Der
Mensch wurde genauso erschaffen, wie es in der Bibel steht, eine Evolution hat
es nie gegeben, die Welt wurde in sechs Tagen erschaffen. Was die Berichte der
Bibel nie sein wollten Tatsachenberichte sind sie in den Augen
mancher Fundamentalisten noch heute.
Welch fürchterliche und menschenmordende Wirkung dieses Miß-Verständnis
der Bibel haben kann, ist gerade hier in Hirschberg vor wenigen hundert Jahren
grausam deutlich geworden, in den Hexenprozessen.
1487 erschien der sog. ´Hexenhammer´, das ´Handbuch der Hexenprozesse´.
Die Verfasser berufen sich auf den biblischen Text, der uns gleich noch beschäftigen
wird, wenn sie begründen, warum die Hexerei bei Frauen verbreiteter sei
als bei Männern:
Denn was den Verstand betrifft oder das Verstehen des Geistigen, scheinen sie von anderer Art zu sein als die Männer [...]. Der Grund ist ein von der Natur entnommener: weil es fleischlicher gesinnt ist als der Mann, wie es aus den vielen fleischlichen Unflätereien ersichtlich ist. Diese Mängel werden auch gekennzeichnet bei der Schaffung des ersten Weibes, indem sie aus einer krummen Rippe geformt wurde, d. h. aus einer Brustrippe, die gekrümmt und gleichsam dem Mann entgegen geneigt ist. Aus diesem Mangel geht auch hervor, daß, da das Weib nur ein unvollkommenes Tier ist, es immer täuscht. (I, 98)
3. Die Erzählung von der Erschaffung der Menschen und der Vertreibung aus dem Garten
Die Geschichte von der Erschaffung der Menschen, vom
´Sündenfall´ und von der Vertreibung hat im Alten Orient verschiedene
Parallelen, selbst der Prophet Ezechiel erzählt von einem König, der
vollendet geschaffen wurde, auf dem Gottesberg und im Gottesgarten lebte bis
er sündigt und vertrieben wird.
Aber: In den Geschichten der Nachbarvölker Israels wird von einem Mann
gesprochen, eine ´Eva´ kennen diese Mythen nicht. Daran wird deutlich,
daß der biblische Erzähler gerade über die Frau etwas sagen
will, da er diese in die ihm bekannten Geschichten und Mythen erst einbauen
muß. Es liegt unserem Erzähler etwas an ´der Frau´.
Am Beginn der Erzählung werden wir in die mythische Zeit versetzt: Der
Tag, an dem Gott Himmel und Erde machte, der Tag, an dem alles anders war als
heute Zeit vor der Zeit, Zeit vor der Kultur. Schon ganz am Anfang spielt
der Erzähler mit den hebräischen Worten für Mensch (Adam) und
Acker (Adama). Er zeigt: Mensch und Acker gehören zusammen. Wie sie zusammengehören
folgt dann: Der erste Mensch nicht der erste Mann! ist aus dem
Acker geschaffen worden. Schon hier klingt an, was dem Menschen am Ende der
Erzählung mitgeteilt wird: Staub bist du....
Dieser Staub wird durch den ´Hauch des Lebens´ zum Menschen, zum
lebenden Wesen. Der Mensch verdankt sein Leben Gott, er ist Gottes Geschöpf,
Gottes Werk das ist dem biblischen Erzähler ein wichtiges Anliegen.
Gott schafft also den Menschen, aber nicht als Mann, auch nicht als Mann mit
dem Eigennamen ´Adam´. ´Adam´ bezeichnet hier den Menschen
als Gattungsbezeichnung. Da es nur einen gibt, macht die Unterscheidung in Mann
und Frau noch gar keinen Sinn.
Nach der Erschaffung folgt die Versorgung des Geschöpfes: Gott pflanzt
einen Garten, in den er den Menschen legt. In diesem Garten ist der Mensch versorgt,
es gibt Bäume, die Früchte tragen, von denen der Mensch essen kann.
Gott überträgt dem Menschen die Verantwortung für den Garten,
er soll ihn behüten der Garten Eden ist kein Schlaraffenland. Die
Arbeit gehört von Anfang an zum Menschen. Wenn aber in den orientalischen
Mythen die Götter die Menschen erschaffen um sich von den Menschen bedienen
zu lassen, so ist es in Eden anders: Der Mensch bebaut den Garten für sich.
Der Garten Eden ist der Mittelpunkt der Welt, der Nabel der Welt. In den Versen
10 14 begegnet uns ein Stück mythologischer Geographie. Von Eden
aus geht ein Strom, der sich in vier Ströme teilt. Der Garten liegt also
höher, das Wasser geht von diesem Garten aus, fließt in die vier
Himmelsrichtungen. Hier wird deutlich: Der Garten Eden ist ein Ort, der anders
ist als alle anderen Orte der Welt, das Leben denn im trockenen Alten
Orient bedeuteten die Ströme Leben geht von ihm aus. Hier ist die
Mitte der Welt, an diesem Ort ist man Gott ganz nahe.
Die Mitte dieses Gartens bilden nun zwei (?) Bäume, der Baum des Lebens
und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Der Baum des Lebens ist in
den verschiedenen Mythen des Orients weit verbreitet. In der Mitte der Welt
steht der Baum des Lebens. Diesem ´bekannten´ Baum stellt der biblische
Erzähler nun aber einen weiteren Baum an die Seite, den Baum der Erkenntnis.
Der Mensch lebt im Garten, behütet und bebaut den Garten, darf von allen
Bäumen essen, aber vom Baum der Erkenntnis darf er nicht essen dieser
Baum ist Tabu. Gott spricht zu seinem Geschöpf, er gibt ihm ein Gebot.
Dieses Gebot eröffnet dem Menschen die Möglichkeit zu leben
wenn er von den Früchten der erlaubten Bäume ißt und
die Möglichkeit zu sterben wenn er Früchte des verbotenen Baumes
ißt. Dieses Gebot eröffnet dem Menschen die Freiheit. Er kann und
muß sich entscheiden, wie er sich zu diesem Gebot und somit zu
Gott stellen wird. Das Nein zu Gott und zu seinem Gebot ist jedoch das
Nein zum Leben, denn das Leben kommt von Gott, dem Schöpfer. Wie Gott schon
den Menschen gebildet hatte, so bildet er nun auch die Tiere, Landtiere und
Vögel (keine Fische, die schieden als ´Gegenpart´ von vornherein
aus.).
Der Grund für dieses zweite Schöpferhandeln: Die Schöpfung Gottes
ist noch nicht wirklich gut, der Mensch ist allein.
Für alle archaischen Kulturen gilt der Leitsatz Leben ist Gemeinschaft
wer allein ist, lebt nicht wirklich. Das Ziel der Menschen-Schöpfung
durch Gott ist nicht ´der Mann´ sondern die Gemeinschaft von Mann
und Frau. Die Erschaffung der Tiere ist dabei ein erster Schritt: Der Mensch
betrachtet die Tiere und grenzt sich von den Tieren ab, entwickelt in dieser
Gegenüberstellung ´menschliches Selbstbewußtsein´. Er
benennt die Tiere übt damit eine Macht über die Tiere aus.
Die erste ´Kultur-Tat´ des Menschen ist die Benennung der Tiere,
eine erste autonome Handlung. Aber das eigentliche Ziel ist noch nicht erreicht:
die Gemeinschaft, die ´Hilfe´.
Was aber ist eine ´Hilfe´? Keinesfalls bedeutet dieses Wort eine
Herabstufung der Frau. Das Wort ´Hilfe´ wird in den meisten Fällen
verwendet, um Gott als Helfer zu bezeichnen, so immer wieder in den Psalmen.
Die ´Hilfe´ wird ausdrücklich als ´Gegenpart´,
oder ´Hilfe, die ihm entspricht´ gekennzeichnet. Hier liegt eine
ganz ausdrückliche Betonung der Gleichberechtigung vor.
Das Ziel Gemeinschaft von Mann und Frau ist noch nicht erreicht:
Gott muß wieder als Schöpfer handeln. Das ist eine ganz entscheidende
Aussage: Gott handelt als Schöpfer!
So wie er den Menschen gebildet hat, bildet er nun die Frau der Mensch
liegt dabei im Tiefschlaf. Die Frau wird jedoch nicht aus Erde, Staub, Acker
gebildet, sie ist das einzige Geschöpf in dieser Erzählung, das nicht
aus der Erde gebildet ist! Und dennoch ist die Tradition nie darauf gekommen,
eine Überordnung der Frau über alle anderen Geschöpfe vorzunehmen.
Die Frau wird von Gott aus einer ´Rippe´ des Menschen gebildet.
Dahinter stehen uralte Vorstellungen, die in der Bibel an einer ganz anderen
Stelle noch einmal aufscheinen: Im Buch Ezechiel berichtet der Prophet von einer
Vision, in der Gottes Geist die Gebeine wieder zum Leben erweckt. Die Knochen
bleiben von den Toten am längsten erhalten. In vielen Kulturen findet sich
die Vorstellung, daß aus den Knochen der Toten (Menschen, wie auch Tiere)
neues Leben entstehen kann.
Die ´Rippe´ oder ´Seite´, aus der Gott ganz handwerklich
die Frau ´baut´ steht vor allem aber für die enge Gemeinschaft
von Mann und Frau. Das ist das wichtigste Ziel des Erzählers: Obwohl doch
der Mensch im Tiefschlaf gelegen hatte erkennt er sofort, daß er und die
Frau zusammengehören. Mann und Frau gehören von Anfang an zusammen.
Und erst jetzt verwendet der biblische Erzähler die Begriffe Frau (Ischa)
und Mann (Isch) erst nach der Erschaffung der Frau wird der Mensch zum
Mann. Vorher hatte er sich von den Tieren abgegrenzt, durch die Bennenung der
Tiere, nun erfährt er sich selbst als Mann. Und hier wird, sofort nach
der Aussage der Gleichheit (Fleisch von meinem Fleisch) die soziale Wirklichkeit
des biblischen Erzählers deutlich: Der Mann ´leitet den Namen der
Frau von seinem Namen ab´, das Abgeleitete ist das Untergeordnete.
Dann spricht der Erzähler, staunend über die Anziehung zwischen Mann
und Frau: Die Liebe zwischen beiden kann die familiären Bindungen sprengen.
Und: In der Liebe werden beide zu ´Einem Fleisch´. Das heißt:
Erst in der Gemeinschaft der Liebe ist Gottes Schöpfungsziel erreicht,
ist die Schöpfung gut, denn nicht gut ist, daß der Mensch allein
sei.
Zu diesem guten Zustand der Schöpfung gehört auch der folgende Vers:
Mann und Frau sind nackt, schämen sich aber nicht: Das Miteinander der
Menschen ist ungetrübt. Auch hier wird wieder mythologische Urgeschichte
erzählt, ein Zustand vor der Zeit, ein Zustand, ´als noch nicht´
war, wie es heute ist.
Damit ist ein wichtiger Einschnitt erreicht: Der gute
Urzustand wird nun durch die Erzählung vom sogenannten ´Sündenfall´
zerstört.
Wie kommt das Böse in die Welt, warum ist die Welt so wie sie ist, warum
gibt es so viel Leid alles Fragen, die sich dem biblischen Erzähler
und allen Menschen immer wieder stellen. Der biblische Erzähler kann diese
Fragen nicht klären, aber er kann meisterlich erzählen.
Die Menschen werden durch die Schlange die ausdrücklich als ein
Geschöpf Gottes bezeichnet wird! verführt. Das Böse bleibt
ein Rätsel. Die Schlange ist ein Tier, das sich mehrfach häutet, seine
alte, zu klein gewordene Haut abstreift, sich immer wieder verjüngt. Die
Schlange wurde so in vielen Kulturen ein Symbol für Tod und Leben
vielleicht war sie deshalb für diese Erzählung so geeignet.
Die Verführung durch die Schlange ist ein erzählerisches Meisterstück.
Der Erzähler kann damit ´Verführung´, die sich ja eigentlich
unsichtbar, im Innern des Menschen abspielt, sichtbar und anschaulich machen.
Zwischen der Frau und der Schlange beginnt ein verhängnisvoller Dialog.
Die kluge Schlange verdreht in ihrer Frage das Gebot Gottes: Hat Gott verboten,
von allen Bäumen zu essen? Damit ist das Gespräch vergiftet. Und so
antwortet die Frau auch nicht wirklich dem Gebot Gottes entsprechend, sie verschärft
das Gebot: Nicht nur nicht essen, auch nicht einmal berühren so
sagt sie dürfen die Menschen die Frucht des Baumes. Auf der einen
Seite zeigt die Frau, daß das Gebot Gottes nicht hart ist, von allen Bäumen
dürfen sie essen, und auf der anderen Seite verschärft sie das Gebot.
Das Mißtrauen gegen die Schlange führt dazu, daß die Frau Gott
strenger darstellt, als er wirklich ist.
Die Schlange ist klug, sie weiß, daß die Menschen nicht sterben
werden, wenn sie vom Baum essen, daß sich ihre Augen klären. Sie
werden göttlich werden, das ist die Verheißung der Schlange an die
Menschen, das verführerische Angebot. Und das ist die Übertretung,
der sich der Mensch schließlich schuldig machen wird: Gott hatte im Garten
alles bereitet, was der Mensch zum Leben braucht. Aber Gott hatte eine Grenze
gesetzt: Die Grenze, die den Menschen von Gott unterscheidet.
Der Verheißung umfassender Erkenntnis kann der Mensch nicht wirklich widerstehen,
sie ist wie der Baum eine ´Wollust den Augen´. Die
Frau ißt, gibt dem Mann von der Frucht das Gebot Gottes ist übertreten.
Tatsächlich tritt der Erkenntnisgewinn ein die Schlange hatte recht.
Die Menschen erkennen einen Mangel, ihre Nacktheit. Sie beantworten diesen Mangel
mit ´technischem Fortschritt´, sie machen sich Kleider. Letztlich
handeln die Menschen, wie vorher Gott der Schöpfer, der einen Mangel bemerkte
und Abhilfe schuf. Hier wird ein interessanter Realismus des biblischen Erzählers
deutlich: Fortschritt hat seinen Preis. Das wird später noch deutlicher
werden: Es sind die Nachkommen des Brudermörders Kain, die besondere Erfindungen
machen, die Metallverarbeitung entdecken werden.
Die Übertretung des Gebots hat Vertrauen zerstört. Die Menschen erkennen
Nacktheit als Mangel, halten sich von nun an bedeckt.
Aber auch das Vertrauen zu Gott ist zerstört. Als Gott durch den Garten
spaziert ein Bild für das vertraute Verhältnis zwischen Gott
und den Menschen verstecken sich die Menschen.
Gott befragt den Mann. Der verteidigt sich gegenüber Gott, mit anklagendem
Unterton. Gleichzeitig schiebt er die Schuld auf die Frau ab. Diese schiebt
die Schuld weiter, zur Schlange. Die Schlange wird nicht mehr gefragt. Der Mensch
ist für seine Schuld letztlich allein verantwortlich, die Schlange bleibt
geheimnisvoll wie das Böse selbst.
Nun folgt eine ganze Reihe von Fluch- oder Strafsprüchen. Diese Sprüche
sind sog. ´ätiologische Sprüche´, das heißt: Sie
erklären Zustände der Gegenwart mit Vorgängen in mythischer Vergangenheit.
Die eigentliche Strafe für das Vergehen ist die Vertreibung aus dem Garten,
aus der Nähe Gottes.
Die Schlange wird verflucht, sie wird aus dem Kreis der übrigen Tiere ausgeschlossen.
Hier steht eine echte Gefahr für die Bauern des Orients im Hintergrund.
Nur bei der Frau fehlt der Hinweis auf das ´warum´ der Strafe. Hier
steht nicht Weil Du! Der biblische Erzähler beschreibt die
Situation der Frau, die durch ´Beschwernis´ gekennzeichnet ist.
Wie das Leben des Mannes von Beschwernis der Arbeit gekennzeichnet ist, so ist
das Leben der Frau von Beschwernis durch Schwangerschaft und Geburt gekennzeichnet.
Wichtig ist jedoch: Beschwernis ist nicht Schmerz, Schmerz steht nicht im biblischen
Text.
Anschließend beschreibt der Erzähler die traurige Situation der Frau:
Die Frau sehnt sich nach dem Mann, er aber herrscht über sie. Die Sehnsucht
nach dem Zusammensein, nach der Gemeinschaft, endet in der Unterordnung der
Frau unter den Mann. Aber, das muß ausdrücklich gesagt werden: Die
Unterordnung der Frau unter den Mann wird vom biblischen Erzähler als Fluch
geschildert, als Strafe. Somit wird deutlich: Der Mann darf nicht über
die Frau herrschen, solche Herrschaft ist Verkehrung der Gott-gewollten Ordnung.
Der Erzähler beschreibt die Unterordnung der Frau unter den Mann als einen
Unheils-Zustand, der überwunden werden soll.
So ist auch die Strafe über den Mann eine Beschreibung der Gegenwart des
biblischen Erzählers: Der Mensch muß hart arbeiten, um dem Boden
sein ´täglich Brot´ abzuringen. Und wie es für uns selbstverständlich
geworden ist, diese Beschwernis durch technische und chemische Hilfsmittel zu
erleichtern, so müßte es auch selbstverständlich sein, den geschilderten
Unheils-Zustand der Frau zu erleichtern.
Der Vers 20 blickt nun ganz weit in die Religionsgeschichte zurück: Chawwa,
die Mutter alles Lebendigen kann nur als eine Erinnerung an die ganz alten Mythen
von der Urmutter verstanden werden.
Gott sorgt noch einmal gut für seine Geschöpfe, stattet sie
statt der behelfsmäßigen Blätterschurze nun mit Fellröcken
aus.
In der direkten Nähe Gottes kann der Mensch nicht bleiben. Zwei große
Ziele gibt es für den Menschen: Streben nach Leben und Streben nach Erkenntnis.
Das Streben nach Erkenntnis hat der Mensch durch die Übertretung des Gebotes
Gottes erreicht. Das Streben nach (ewigem) Leben aber, geht weit über das
Erlaubte hinaus. So wird er aus dem direkten Umfeld Gottes herausgeschickt:
Nun ist der Mensch da, wo Gott nicht ist.
Das Ziel der Erzählung ist erreicht, der Mensch ist nicht mehr im ´Garten´,
er ist in der ´Welt´. Gott ist auch in der Welt, aber nicht mehr
als ´Spaziergänger im Garten´.
Mann und Frau sind in der Welt angekommen. Wie die Realität in dieser Welt
aussieht weiß der biblische Erzähler vor fast 3.000 Jahren genau:
Das Verhältnis von Mann und Frau ist geprägt von Herrschaft und Unterdrückung.
Mitten in dieser Welt, die von patriarchalischen Strukturen, von Vielehe und
für uns heute kaum noch nachvollziehbaren Unterdrückungsstrukturen
gekennzeichnet ist, mitten in dieser Welt stellt er klar, daß es zwischen
Mann und Frau anders sein soll.
Für den biblischen Erzähler ist eines klar: Jeder Schritt hin zu einer
echten Gemeinschaft zwischen Frau und Mann, zur ´Hilfe, die ihm entspricht´,
zu ´Fleisch von meinem Fleisch´ ist auch ein Schritt hin zur ursprünglichen
Gemeinschaft der Menschen mit Gott, zu einer Gemeinschaft mit dem Spaziergänger
im Garten.
Stefan Enste
15. Mai 2001