Adam und Eva

Vortrag bei der kfd-Hirschberg
am 18. Mai 2001



Adam und Eva –
oder:
Was die Schöpfungsgeschichte über Männer und Frauen sagt

Sieger Köder: Schöpfung1. Geschichtliche Betrachtung der Bibel

Um heute einen angemessenen und verantwortenden Zugang zum biblischen Schöpfungsbericht zu bekommen, ist der kritische Blick auf die Bibel unumgänglich. Kritisch heißt dabei nicht, daß in landläufiger Wortbedeutung ´kritisiert´ wird, was in der Bibel steht. Kritisch heißt hier, mit wissenschaftlichem, analytischen Blick an den Text heranzugehen, mit dem Blick des Historikers, des Textwissenschaftlers.
Wie jeder Text der Weltliteratur ist auch die Bibel zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort, unter ganz bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen entstanden.
Dennoch – das schon vorweg – gerade dieser kritische Blick wird immer wieder zum staunenden Blick, der gerade im Vergleich mit den anderen Texten, mit den anderen Kulturen das ganz Besondere und Einmalige der Bibel erkennt.
In allerkürzester Form sei deshalb hier vorgetragen, welchen Weg der biblische Schöpfungsbericht von der Antike bis in unsere Zeit genommen hat.
Gerade an den ersten Texten der Bibel wurden schon früh interessante Beobachtungen gemacht, an der Schöpfungserzählung, an der Sintfluterzählung, an der Geschichte vom Durchzug durch das Rote Meer: In diesen Erzählungen gab es Dopplungen, kleine Widersprüchlichkeiten, unterschiedliche Namensformen und ähnliches. Und so entstand im 19. Jahrhundert eine Theorie, mit deren Hilfe man sich die Entstehung der ersten Bücher des Alten Testaments erklären konnte. Diese Theorie geht davon aus, daß die ersten 4 Bücher des AT (Genesis, Exodus, Levitikus und Numeri), als deren Verfasser traditionell Mose selbst galt, daß diese vier Bücher eine kunstvolle Zusammenstellung verschiedener älterer Bücher und Quellen darstellen.
In ihrer ´klassischen´ Ausprägung geht diese Theorie von 4 Quellen aus, die zwischen 950 v.Chr. und 550 v.Chr. entstanden sind, schließlich – etwa um 400 v.Chr. – in Jerusalem zu einem neuen Gesamtwerk zusammengefaßt worden sind, eben zu den ersten 5 Büchern der Bibel, die noch heute die ersten Seiten jeder Bibel bilden.
Die Sprache dieser Bücher war und ist Hebräisch. Kurz nach der Komposition der ´Fünf Bücher Mose´ wurde im 3. Jh. die erste griechische Übersetzung angefertigt, die sogenannte Septuaginta . Griechisch war damals bereits neben den verschiedenen Muttersprachen die allgemeine Umgangssprache im ganzen östlichen Mittelmeerraum. Wenn im Neuen Testament aus dem Alten Testament zitiert wird, beispielsweise von Paulus in seinen verschiedenen Briefen, dann wird aus der Septuaginta zitiert.
Im 4. Jh. nach Chr. wurde schließlich die Vulgata geschaffen, die wichtigste lateinische Übersetzung der Bibel. Sie hat in der katholischen Kirche bis heute große Bedeutung.
Zwar gab es bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts bereits eine ganze Reihe deutscher Bibelübersetzungen, aber wirklich bedeutend wurde nur die zwischen 1522 und 1545 erschienene Übersetzung von Martin Luther – bis heute die maßgebliche Bibelausgabe der evangelischen Kirchen.
Für den katholischen Bereich ist die Einheitsübersetzung vergleichbar. Sie wurde 1980 neu aus den Originaltexten übersetzt und ist die offizielle Bibelausgabe für den Gebrauch in der Liturgie (Lesungen, Evangelien, Psalmen,...).
Heute gehen wir dennoch von einer anderen Übersetzung aus. In den 20´er Jahren begannen die beiden bedeutenden jüdischen Gelehrten Martin Buber und Franz Rosenzweig eine Übersetzung des Alten Testaments. Dabei haben sie versucht, der hebräischen Sprache des Originals so nahe, wie eben möglich zu kommen – bis dahin, daß sie neue Worte geschaffen haben, um schwer übersetzbare hebräische Worte zu ´verdeutschen´. Der Vorteil dieser Übersetzung: Sie ist unseren Ohren fremd, man muß genauer hinhören, ist dem Original näher.

2. Genesis 3 – 4 als ´mythologischer Text´

Um die Erzählung von der Erschaffung der Menschen und vom ´Sündenfall´ verstehen zu können, ist es wichtig, sich die Textsorte, die Art, den Charakter dieses Textes vor Augen zu halten.
Es handelt sich hier um einen mythologischen Text. Der Mythos versucht, die Welt zu erklären. Er versucht das – anders als die heutige Wissenschaft – durch eine Erzählung. Diese Erzählung will zeigen, warum bestimmte Dinge, Erscheinungen, Namen, Handlungsweisen, Gesellschaftssysteme sind wie sie sind. Den Grund für die Zustände der Gegenwart sucht der Mythos in der Vergangenheit – aber in der Vergangenheit jenseits der Geschichte.
Die Zeit des Mythos ist nicht in ´Jahren vor heute´ anzugeben. Der Mythos spielt ´im Anfang´, oder zu einer Zeit ´als die Welt noch nicht war´. Der Mythos ist also der normalen, ablaufenden Zeit entrückt, er spielt außerhalb der Zeit, was letztlich bedeutet: Er ist immer gültig.
Der Mythos ist der Weg vormoderner Kulturen, die Welt zu erklären. Damit liegt ein grundlegend anderer Weg vor, als unser technisch-wissenschaftlicher Weg der Welterklärung.
Im alten Israel stand man den verschiedenen Mythen der Nachbarvölker sehr kritisch und ablehnend gegenüber. Erzählungen vom Kampf der verschiedenen Götter und Dämonen vertrugen sich nicht mit der Lehre vom einen und einzigen Gott Israels.
Dennoch: Auch die Bibel kann nicht wirklich auf den Mythos verzichten. Wenn es um die Erschaffung der Welt und des Menschen geht, dann knüpft die Bibel an die Mythen der Nachbarvölker an. Aber die Bibel wahrt die Distanz: Über dem Mythos steht immer der Gott Israels. Wenn Sonne, Mond und die Sterne des Himmels bei den benachbarten Völkern mächtige Gottheiten oder Schicksalskünder waren – im Schöpfungsbericht der Bibel heißt es nur knapp: “Und Gott machte die beiden großen Lichter [...] und die Sterne.”.
Im Laufe der Jahrhunderte ist dem Christentum das Verständnis für den großen Wert mythischer Erzählungen immer mehr abhanden gekommen. Die Bibel wurde reduziert, verkürzt, zum Tatsachenbericht degradiert. Der Mensch wurde genauso erschaffen, wie es in der Bibel steht, eine Evolution hat es nie gegeben, die Welt wurde in sechs Tagen erschaffen. Was die Berichte der Bibel nie sein wollten – Tatsachenberichte – sind sie in den Augen mancher Fundamentalisten noch heute.
Welch fürchterliche und menschenmordende Wirkung dieses Miß-Verständnis der Bibel haben kann, ist gerade hier in Hirschberg vor wenigen hundert Jahren grausam deutlich geworden, in den Hexenprozessen.
1487 erschien der sog. ´Hexenhammer´, das ´Handbuch der Hexenprozesse´. Die Verfasser berufen sich auf den biblischen Text, der uns gleich noch beschäftigen wird, wenn sie begründen, warum die Hexerei bei Frauen verbreiteter sei als bei Männern:

“Denn was den Verstand betrifft oder das Verstehen des Geistigen, scheinen sie von anderer Art zu sein als die Männer [...]. Der Grund ist ein von der Natur entnommener: weil es fleischlicher gesinnt ist als der Mann, wie es aus den vielen fleischlichen Unflätereien ersichtlich ist. Diese Mängel werden auch gekennzeichnet bei der Schaffung des ersten Weibes, indem sie aus einer krummen Rippe geformt wurde, d. h. aus einer Brustrippe, die gekrümmt und gleichsam dem Mann entgegen geneigt ist. Aus diesem Mangel geht auch hervor, daß, da das Weib nur ein unvollkommenes Tier ist, es immer täuscht.” (I, 98)

3. Die Erzählung von der Erschaffung der Menschen und der Vertreibung aus dem Garten

Die Geschichte von der Erschaffung der Menschen, vom ´Sündenfall´ und von der Vertreibung hat im Alten Orient verschiedene Parallelen, selbst der Prophet Ezechiel erzählt von einem König, der vollendet geschaffen wurde, auf dem Gottesberg und im Gottesgarten lebte bis er sündigt und vertrieben wird.
Aber: In den Geschichten der Nachbarvölker Israels wird von einem Mann gesprochen, eine ´Eva´ kennen diese Mythen nicht. Daran wird deutlich, daß der biblische Erzähler gerade über die Frau etwas sagen will, da er diese in die ihm bekannten Geschichten und Mythen erst einbauen muß. Es liegt unserem Erzähler etwas an ´der Frau´.
Am Beginn der Erzählung werden wir in die mythische Zeit versetzt: Der Tag, an dem Gott Himmel und Erde machte, der Tag, an dem alles anders war als heute – Zeit vor der Zeit, Zeit vor der Kultur. Schon ganz am Anfang spielt der Erzähler mit den hebräischen Worten für Mensch (Adam) und Acker (Adama). Er zeigt: Mensch und Acker gehören zusammen. Wie sie zusammengehören folgt dann: Der erste Mensch – nicht der erste Mann! – ist aus dem Acker geschaffen worden. Schon hier klingt an, was dem Menschen am Ende der Erzählung mitgeteilt wird: “Staub bist du...”.
Dieser Staub wird durch den ´Hauch des Lebens´ zum Menschen, zum lebenden Wesen. Der Mensch verdankt sein Leben Gott, er ist Gottes Geschöpf, Gottes Werk – das ist dem biblischen Erzähler ein wichtiges Anliegen. Gott schafft also den Menschen, aber nicht als Mann, auch nicht als Mann mit dem Eigennamen ´Adam´. ´Adam´ bezeichnet hier den Menschen als Gattungsbezeichnung. Da es nur einen gibt, macht die Unterscheidung in Mann und Frau noch gar keinen Sinn.
Nach der Erschaffung folgt die Versorgung des Geschöpfes: Gott pflanzt einen Garten, in den er den Menschen legt. In diesem Garten ist der Mensch versorgt, es gibt Bäume, die Früchte tragen, von denen der Mensch essen kann. Gott überträgt dem Menschen die Verantwortung für den Garten, er soll ihn behüten – der Garten Eden ist kein Schlaraffenland. Die Arbeit gehört von Anfang an zum Menschen. Wenn aber in den orientalischen Mythen die Götter die Menschen erschaffen um sich von den Menschen bedienen zu lassen, so ist es in Eden anders: Der Mensch bebaut den Garten für sich.
Der Garten Eden ist der Mittelpunkt der Welt, der Nabel der Welt. In den Versen 10 – 14 begegnet uns ein Stück mythologischer Geographie. Von Eden aus geht ein Strom, der sich in vier Ströme teilt. Der Garten liegt also höher, das Wasser geht von diesem Garten aus, fließt in die vier Himmelsrichtungen. Hier wird deutlich: Der Garten Eden ist ein Ort, der anders ist als alle anderen Orte der Welt, das Leben – denn im trockenen Alten Orient bedeuteten die Ströme Leben – geht von ihm aus. Hier ist die Mitte der Welt, an diesem Ort ist man Gott ganz nahe.
Die Mitte dieses Gartens bilden nun zwei (?) Bäume, der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Der Baum des Lebens ist in den verschiedenen Mythen des Orients weit verbreitet. In der Mitte der Welt steht der Baum des Lebens. Diesem ´bekannten´ Baum stellt der biblische Erzähler nun aber einen weiteren Baum an die Seite, den Baum der Erkenntnis.
Der Mensch lebt im Garten, behütet und bebaut den Garten, darf von allen Bäumen essen, aber vom Baum der Erkenntnis darf er nicht essen – dieser Baum ist Tabu. Gott spricht zu seinem Geschöpf, er gibt ihm ein Gebot. Dieses Gebot eröffnet dem Menschen die Möglichkeit zu leben – wenn er von den Früchten der erlaubten Bäume ißt – und die Möglichkeit zu sterben – wenn er Früchte des verbotenen Baumes ißt. Dieses Gebot eröffnet dem Menschen die Freiheit. Er kann und muß sich entscheiden, wie er sich zu diesem Gebot – und somit zu Gott – stellen wird. Das Nein zu Gott und zu seinem Gebot ist jedoch das Nein zum Leben, denn das Leben kommt von Gott, dem Schöpfer. Wie Gott schon den Menschen gebildet hatte, so bildet er nun auch die Tiere, Landtiere und Vögel (keine Fische, die schieden als ´Gegenpart´ von vornherein aus.).
Der Grund für dieses zweite Schöpferhandeln: Die Schöpfung Gottes ist noch nicht wirklich gut, der Mensch ist allein.
Für alle archaischen Kulturen gilt der Leitsatz “Leben ist Gemeinschaft” – wer allein ist, lebt nicht wirklich. Das Ziel der Menschen-Schöpfung durch Gott ist nicht ´der Mann´ sondern die Gemeinschaft von Mann und Frau. Die Erschaffung der Tiere ist dabei ein erster Schritt: Der Mensch betrachtet die Tiere und grenzt sich von den Tieren ab, entwickelt in dieser Gegenüberstellung ´menschliches Selbstbewußtsein´. Er benennt die Tiere – übt damit eine Macht über die Tiere aus. Die erste ´Kultur-Tat´ des Menschen ist die Benennung der Tiere, eine erste autonome Handlung. Aber das eigentliche Ziel ist noch nicht erreicht: die Gemeinschaft, die ´Hilfe´.
Was aber ist eine ´Hilfe´? Keinesfalls bedeutet dieses Wort eine Herabstufung der Frau. Das Wort ´Hilfe´ wird in den meisten Fällen verwendet, um Gott als Helfer zu bezeichnen, so immer wieder in den Psalmen. Die ´Hilfe´ wird ausdrücklich als ´Gegenpart´, oder ´Hilfe, die ihm entspricht´ gekennzeichnet. Hier liegt eine ganz ausdrückliche Betonung der Gleichberechtigung vor.
Das Ziel – Gemeinschaft von Mann und Frau – ist noch nicht erreicht: Gott muß wieder als Schöpfer handeln. Das ist eine ganz entscheidende Aussage: Gott handelt als Schöpfer!
So wie er den Menschen gebildet hat, bildet er nun die Frau – der Mensch liegt dabei im Tiefschlaf. Die Frau wird jedoch nicht aus Erde, Staub, Acker gebildet, sie ist das einzige Geschöpf in dieser Erzählung, das nicht aus der Erde gebildet ist! Und dennoch ist die Tradition nie darauf gekommen, eine Überordnung der Frau über alle anderen Geschöpfe vorzunehmen. Die Frau wird von Gott aus einer ´Rippe´ des Menschen gebildet. Dahinter stehen uralte Vorstellungen, die in der Bibel an einer ganz anderen Stelle noch einmal aufscheinen: Im Buch Ezechiel berichtet der Prophet von einer Vision, in der Gottes Geist die Gebeine wieder zum Leben erweckt. Die Knochen bleiben von den Toten am längsten erhalten. In vielen Kulturen findet sich die Vorstellung, daß aus den Knochen der Toten (Menschen, wie auch Tiere) neues Leben entstehen kann.
Die ´Rippe´ oder ´Seite´, aus der Gott ganz handwerklich die Frau ´baut´ steht vor allem aber für die enge Gemeinschaft von Mann und Frau. Das ist das wichtigste Ziel des Erzählers: Obwohl doch der Mensch im Tiefschlaf gelegen hatte erkennt er sofort, daß er und die Frau zusammengehören. Mann und Frau gehören von Anfang an zusammen.
Und erst jetzt verwendet der biblische Erzähler die Begriffe Frau (Ischa) und Mann (Isch) – erst nach der Erschaffung der Frau wird der Mensch zum Mann. Vorher hatte er sich von den Tieren abgegrenzt, durch die Bennenung der Tiere, nun erfährt er sich selbst als Mann. Und hier wird, sofort nach der Aussage der Gleichheit (Fleisch von meinem Fleisch) die soziale Wirklichkeit des biblischen Erzählers deutlich: Der Mann ´leitet den Namen der Frau von seinem Namen ab´, das Abgeleitete ist das Untergeordnete.
Dann spricht der Erzähler, staunend über die Anziehung zwischen Mann und Frau: Die Liebe zwischen beiden kann die familiären Bindungen sprengen. Und: In der Liebe werden beide zu ´Einem Fleisch´. Das heißt: Erst in der Gemeinschaft der Liebe ist Gottes Schöpfungsziel erreicht, ist die Schöpfung gut, denn “nicht gut ist, daß der Mensch allein sei”.
Zu diesem guten Zustand der Schöpfung gehört auch der folgende Vers: Mann und Frau sind nackt, schämen sich aber nicht: Das Miteinander der Menschen ist ungetrübt. Auch hier wird wieder mythologische Urgeschichte erzählt, ein Zustand vor der Zeit, ein Zustand, ´als noch nicht´ war, wie es heute ist.

Damit ist ein wichtiger Einschnitt erreicht: Der gute Urzustand wird nun durch die Erzählung vom sogenannten ´Sündenfall´ zerstört.
Wie kommt das Böse in die Welt, warum ist die Welt so wie sie ist, warum gibt es so viel Leid – alles Fragen, die sich dem biblischen Erzähler und allen Menschen immer wieder stellen. Der biblische Erzähler kann diese Fragen nicht klären, aber er kann meisterlich erzählen.
Die Menschen werden durch die Schlange – die ausdrücklich als ein Geschöpf Gottes bezeichnet wird! – verführt. Das Böse bleibt ein Rätsel. Die Schlange ist ein Tier, das sich mehrfach häutet, seine alte, zu klein gewordene Haut abstreift, sich immer wieder verjüngt. Die Schlange wurde so in vielen Kulturen ein Symbol für Tod und Leben – vielleicht war sie deshalb für diese Erzählung so geeignet.
Die Verführung durch die Schlange ist ein erzählerisches Meisterstück. Der Erzähler kann damit ´Verführung´, die sich ja eigentlich unsichtbar, im Innern des Menschen abspielt, sichtbar und anschaulich machen.
Zwischen der Frau und der Schlange beginnt ein verhängnisvoller Dialog. Die kluge Schlange verdreht in ihrer Frage das Gebot Gottes: Hat Gott verboten, von allen Bäumen zu essen? Damit ist das Gespräch vergiftet. Und so antwortet die Frau auch nicht wirklich dem Gebot Gottes entsprechend, sie verschärft das Gebot: Nicht nur nicht essen, auch nicht einmal berühren – so sagt sie – dürfen die Menschen die Frucht des Baumes. Auf der einen Seite zeigt die Frau, daß das Gebot Gottes nicht hart ist, von allen Bäumen dürfen sie essen, und auf der anderen Seite verschärft sie das Gebot. Das Mißtrauen gegen die Schlange führt dazu, daß die Frau Gott strenger darstellt, als er wirklich ist.
Die Schlange ist klug, sie weiß, daß die Menschen nicht sterben werden, wenn sie vom Baum essen, daß sich ihre Augen klären. Sie werden göttlich werden, das ist die Verheißung der Schlange an die Menschen, das verführerische Angebot. Und das ist die Übertretung, der sich der Mensch schließlich schuldig machen wird: Gott hatte im Garten alles bereitet, was der Mensch zum Leben braucht. Aber Gott hatte eine Grenze gesetzt: Die Grenze, die den Menschen von Gott unterscheidet.
Der Verheißung umfassender Erkenntnis kann der Mensch nicht wirklich widerstehen, sie ist – wie der Baum – eine ´Wollust den Augen´. Die Frau ißt, gibt dem Mann von der Frucht – das Gebot Gottes ist übertreten. Tatsächlich tritt der Erkenntnisgewinn ein – die Schlange hatte recht. Die Menschen erkennen einen Mangel, ihre Nacktheit. Sie beantworten diesen Mangel mit ´technischem Fortschritt´, sie machen sich Kleider. Letztlich handeln die Menschen, wie vorher Gott der Schöpfer, der einen Mangel bemerkte und Abhilfe schuf. Hier wird ein interessanter Realismus des biblischen Erzählers deutlich: Fortschritt hat seinen Preis. Das wird später noch deutlicher werden: Es sind die Nachkommen des Brudermörders Kain, die besondere Erfindungen machen, die Metallverarbeitung entdecken werden.
Die Übertretung des Gebots hat Vertrauen zerstört. Die Menschen erkennen Nacktheit als Mangel, halten sich von nun an bedeckt.
Aber auch das Vertrauen zu Gott ist zerstört. Als Gott durch den Garten spaziert – ein Bild für das vertraute Verhältnis zwischen Gott und den Menschen – verstecken sich die Menschen.
Gott befragt den Mann. Der verteidigt sich gegenüber Gott, mit anklagendem Unterton. Gleichzeitig schiebt er die Schuld auf die Frau ab. Diese schiebt die Schuld weiter, zur Schlange. Die Schlange wird nicht mehr gefragt. Der Mensch ist für seine Schuld letztlich allein verantwortlich, die Schlange bleibt geheimnisvoll – wie das Böse selbst.
Nun folgt eine ganze Reihe von Fluch- oder Strafsprüchen. Diese Sprüche sind sog. ´ätiologische Sprüche´, das heißt: Sie erklären Zustände der Gegenwart mit Vorgängen in mythischer Vergangenheit. Die eigentliche Strafe für das Vergehen ist die Vertreibung aus dem Garten, aus der Nähe Gottes.
Die Schlange wird verflucht, sie wird aus dem Kreis der übrigen Tiere ausgeschlossen. Hier steht eine echte Gefahr für die Bauern des Orients im Hintergrund.
Nur bei der Frau fehlt der Hinweis auf das ´warum´ der Strafe. Hier steht nicht “Weil Du”! Der biblische Erzähler beschreibt die Situation der Frau, die durch ´Beschwernis´ gekennzeichnet ist. Wie das Leben des Mannes von Beschwernis der Arbeit gekennzeichnet ist, so ist das Leben der Frau von Beschwernis durch Schwangerschaft und Geburt gekennzeichnet. Wichtig ist jedoch: Beschwernis ist nicht Schmerz, Schmerz steht nicht im biblischen Text.
Anschließend beschreibt der Erzähler die traurige Situation der Frau: Die Frau sehnt sich nach dem Mann, er aber herrscht über sie. Die Sehnsucht nach dem Zusammensein, nach der Gemeinschaft, endet in der Unterordnung der Frau unter den Mann. Aber, das muß ausdrücklich gesagt werden: Die Unterordnung der Frau unter den Mann wird vom biblischen Erzähler als Fluch geschildert, als Strafe. Somit wird deutlich: Der Mann darf nicht über die Frau herrschen, solche Herrschaft ist Verkehrung der Gott-gewollten Ordnung. Der Erzähler beschreibt die Unterordnung der Frau unter den Mann als einen Unheils-Zustand, der überwunden werden soll.
So ist auch die Strafe über den Mann eine Beschreibung der Gegenwart des biblischen Erzählers: Der Mensch muß hart arbeiten, um dem Boden sein ´täglich Brot´ abzuringen. Und wie es für uns selbstverständlich geworden ist, diese Beschwernis durch technische und chemische Hilfsmittel zu erleichtern, so müßte es auch selbstverständlich sein, den geschilderten Unheils-Zustand der Frau zu erleichtern.
Der Vers 20 blickt nun ganz weit in die Religionsgeschichte zurück: Chawwa, die Mutter alles Lebendigen kann nur als eine Erinnerung an die ganz alten Mythen von der Urmutter verstanden werden.
Gott sorgt noch einmal gut für seine Geschöpfe, stattet sie – statt der behelfsmäßigen Blätterschurze – nun mit Fellröcken aus.
In der direkten Nähe Gottes kann der Mensch nicht bleiben. Zwei große Ziele gibt es für den Menschen: Streben nach Leben und Streben nach Erkenntnis. Das Streben nach Erkenntnis hat der Mensch durch die Übertretung des Gebotes Gottes erreicht. Das Streben nach (ewigem) Leben aber, geht weit über das Erlaubte hinaus. So wird er aus dem direkten Umfeld Gottes herausgeschickt: Nun ist der Mensch da, wo Gott nicht ist.
Das Ziel der Erzählung ist erreicht, der Mensch ist nicht mehr im ´Garten´, er ist in der ´Welt´. Gott ist auch in der Welt, aber nicht mehr als ´Spaziergänger im Garten´.
Mann und Frau sind in der Welt angekommen. Wie die Realität in dieser Welt aussieht weiß der biblische Erzähler vor fast 3.000 Jahren genau: Das Verhältnis von Mann und Frau ist geprägt von Herrschaft und Unterdrückung.
Mitten in dieser Welt, die von patriarchalischen Strukturen, von Vielehe und für uns heute kaum noch nachvollziehbaren Unterdrückungsstrukturen gekennzeichnet ist, mitten in dieser Welt stellt er klar, daß es zwischen Mann und Frau anders sein soll.
Für den biblischen Erzähler ist eines klar: Jeder Schritt hin zu einer echten Gemeinschaft zwischen Frau und Mann, zur ´Hilfe, die ihm entspricht´, zu ´Fleisch von meinem Fleisch´ ist auch ein Schritt hin zur ursprünglichen Gemeinschaft der Menschen mit Gott, zu einer Gemeinschaft mit dem Spaziergänger im Garten.

Stefan Enste
15. Mai 2001