Fragen
an die Warsteiner Geschichte
Vorwort
Diese Artikelserie erscheint im Februar/März
2001 in den Warsteiner Lokalausgaben der Zeitungen Warsteiner Anzeiger, Westfalenpost,
Westfälische Rundschau. Sie beschäftigt sich mit einigen Fragen der
frühen Warsteiner Geschichte. Da Lokalzeitungen ein räumlich begrenztes
und vor allem auch sehr flüchtiges Medium sind, habe ich mich entschieden,
diese Artikelserie auch im Internet abzulegen. Wer also einen der Artikel verpaßt
hat, hat hier die Möglichkeit, in aller Ruhe nachzulesen.
Außerdem finden sich alle Artikel hier in der ungekürztenOriginalversion.
Einleitung
In diesem Jahr begeht die Stadt Warstein einen nicht
ganz runden Geburtstag: 725 Jahre Stadt Warstein. Es wird daran erinnert, daß
so heißt es im Jahr 1276 der Kölner Erzbischof, Siegfried
von Westerburg, die Stadt Warstein gegründet habe.
Dieses Jubiläum soll gefeiert werden, in einem dem nicht ganz runden Geburtstag
angemessenen bescheidenen Rahmen. Verschiedene Veranstaltungen sind geplant.
Den Anfang machte das Stadtchorfest am 27. Januar, als großes ´Geburtstagsständchen´
an den ´Jubilar´ zum 725. Geburtstag.
Rund um solche Ortsjubiläen läßt sich ein allgemein steigendes
Interesse an der Geschichte, speziell der Heimatgeschichte feststellen. Ob das
in Warstein auch zutrifft? Unsere Nachbarstadt Rüthen hat zum gerade vergangenen
800. Geburtstag eine opulente Ortsgeschichte vorgelegt, mit Beiträgen von
ausgewiesenen Kennern der verschiedenen Epochen der westfälischen Geschichte.
Dagegen erscheint die Warsteiner Heimatgeschichte reichlich blaß. Seit
Jahrzehnten ist nicht ein einziger seriöser Beitrag zur mittelalterlichen
Geschichte Warsteins erschienen. Solide Geschichtsforschung hat in Warstein
angeblich keine Konjunktur, ´Dönekes´ seien gefragt, alles
andere interessiere ´die Leute´ nicht. Solche Äußerungen
bekommt zu hören, wer auf den Mißstand innerhalb der Warsteiner Heimatgeschichte
hinweist. Vielleicht weckt dieser ´runde Geburtstag´ aber doch Interesse
an methodisch sorgfältiger historischer Arbeit und ihren Ergebnissen, jenseits
einer anekdotenreichen Heimatlegenden-Geschichte, deren Legitimität hier
keineswegs bestritten wird. Aber: Ein Stadtjubiläum müßte doch
Platz für beide Arten der Geschichtsbetrachtung bieten. Für die ´Dönekes´
gibt es bereits Ansprechpartner. In deren Revier soll nicht gewildert werden.
Den Warsteinerinnen und Warsteinern jedoch, die sich für die Geschichte
hinter den Geschichtchen interessieren, soll hier ein erster Einblick in die
frühe Warsteiner Geschichte geboten werden.
Mit diesem Ziel startet heute eine Reihe, die sich auf eine Grundvoraussetzung
wissenschaftlicher Arbeit besinnt: das neugierige Fragen, das im Jahr 2001 nicht
mit den Antworten von 1844, 1966 oder 1976 zufrieden ist. Viele interessante
Fragen gibt es, die in der bisherigen Heimatgeschichte entweder gar nicht, falsch
oder unzureichend beantwortet worden sind: Wann wurde Warstein urkundlich erstmals
erwähnt? Gab es in Warstein schon vor der Stadtgründung eine Burg?
Wann wurde die Stadt Warstein gegründet? Hat das ´Stoht-op-Singen´
etwas mit den Zuständen in Warstein vor der Stadtgründung zu tun?
Was bedeutet der Ortsname Warstein? Was wissen wir über Ortschaften im
Raum Warstein vor der Stadtgründung?
Diese sechs Fragen sollen in den kommenden Artikeln behandelt werden. Selbstverständlich
können kurze Zeitungsartikel die teilweise sehr komplexen Zusammenhänge
auch nicht annähernd vollständig ausleuchten. Wer hier neugierig geworden
ist, der sei auf eine Vortragsreihe an der Volkshochschule verwiesen, in der
all diese Fragen ausführlich in Vortrag und Diskussion behandelt werden.
Stefan Enste
1. Frage:
Wann wurde Warstein erstmals urkundlich erwähnt?
Im Jahr 1997 wurde in vielen Ortschaften des Sauerlandes
ein Jubiläum gefeiert: Zahlreiche Orte begingen die 925-Jahrfeier ihrer
urkundlichen Erst-Erwähnung. Im Bereich der Stadt Warstein wurde dieses
Jubiläum in Niederbergheim zum Anlaß eines Dorffestes genommen. Auch
in der Warsteiner Heimatgeschichtsschreibung findet sich immer wieder die Behauptung,
die erste urkundliche Erwähnung Warsteins falle in das Jahr 1072. So ist
auch in dem von der Stadt Warstein herausgegebenen Faltblatt Warstein
Unsere Stadt und ihre Geschichte der Satz zu lesen: Warstein
tritt in einer Urkunde aus dem Jahr 1072 in das Licht der Geschichte [...].
Bei dieser Urkunde handelt es sich um die Gründungsurkunde des Klosters
Grafschaft im Sauerland.
Doch es lohnt sich, dieses angeblich sichere Datum zu hinterfragen. Schon zu
Beginn des 20. Jahrhunderts fällte der Historiker Otto Oppermann ein eindeutiges
Urteil: Die Urkunde [...] ist in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts
geschrieben, und das Siegel ist unecht. Auf Originalität kann sie also
keinen Anspruch erheben. 1957 fand F. A. Groeteken weitere Indizien, die
zeigten, daß es sich unmöglich um eine echte Urkunde aus dem Jahr
1072 handeln konnte. 1972 wurde in Grafschaft der Gründung des Klosters
vor 900 Jahren gedacht. Zu diesem Anlaß analysierte Staatsarchivdirektor
J. Bauermann erneut gründlich die beiden entscheidenden Grafschafter Urkunden,
die von den Kölner Erzbischöfen Anno II. und Friedrich ausgestellt
wurden. Sein Ergebnis bestätigt die Erkenntnisse von Oppermann und Groeteken,
geht aber noch weit darüber hinaus. 1997 habe ich versucht, diese Ergebnisse
zusammenzufassen, sie in den historischen Gesamtzusammenhang einzuordnen. Das
führte dazu, daß in der Niederbergheimer Jubiläums-Festschrift
mein Artikel annähernd wörtlich abgeschrieben wurde, mit einigen Fehlern
und mit der Autorenangabe F. J. Schröer.
Aber zurück zu den Urkunden: J. Bauermanns Analysen haben gezeigt, daß
weder die Anno-Urkunde von angeblich 1072 noch die Friedrich-Urkunde aus den
20er Jahren des 12. Jahrhunderts einheitlich sind. Das heißt: Beide Urkunden
haben ihre heutige Gestalt erst in zwei Schritten erlangt. Besonders interessant
ist dabei die ältere, die Anno-Urkunde. Schon bei oberflächlicher
Betrachtung von Urkunden-Abbildungen fällt auf, daß die letzte Zeile
der Anno-Urkunde wenig Ähnlichkeit mit dem Haupttext der Urkunde hat: die
Buchstaben sind anders geformt, die Linien wesentlich breiter, insgesamt ungelenker.
Die Ergebnisse und Beobachtungen Bauermanns können dabei stimmig in einen
historischen Zusammenhang eingeordnet werden:
1072 gründet Bischof Anno II. von Köln das Benediktinerkloster Grafschaft.
Wie in solchen Fällen üblich, wurde der Unterhalt der Mönche
sichergestellt: Der Bischof überließ dem neugegründeten Kloster
Grundbesitz sowie die Zehnteinnahmen aus verschiedenen Ortschaften seines Bistums,
also gewissermaßen (Kirchen-) Steuereinnahmen. Über diese Klostergründung
liegen keine urkundlichen oder anderen schriftlichen Nachrichten vor.
1075 stirbt Bischof Anno II. Für das Kloster Grafschaft entstand nun eine
schwierige Rechtslage. Da keine schriftlichen Aufzeichnungen über die verschiedenen
Übereignungen vorlagen, fürchtete man Auseinandersetzungen, schließlich
ging es um beträchtliche materielle Werte.
Zwischen 1085 und 1111 verfaßte deshalb ein Mönch des Klosters Grafschaft
die Anno-Urkunde. Mittels dieser Fälschung wollten die Mönche die
nötige Rechtssicherheit gewinnen eine im Mittelalter durchaus übliche
Art des Vorgehens. Diese erste Fassung der Anno-Urkunde hatte eine Zeile weniger,
als ihre heutige Form, es fehlt noch die letzte Zeile also die Zeile,
in der Warsten / Warstein erwähnt wird.
1124/25 übergibt Erzbischof Friedrich I., der zweite Nachfolger Annos II.,
dem Kloster Grafschaft weitere Besitzungen. Im Zuge dieser Übertragungen
bestätigt Friedrich ausdrücklich die Rechte des Klosters Grafschaft
an den von Anno übertragenen Gütern. Neben der gefälschten Anno-Urkunde
hat das Kloster nun also auch eine echte Urkunde vorzuweisen, die seine Besitzungen
absichern. Auch in dieser der Friedrich-Urkunde fehlt in der Originalfassung
die letzte Zeile, fehlt also die Erwähnung Warsteins.
Um 1200 so jedenfalls das paläographische Urteil J. Bauermanns
bestand im Kloster Grafschaft offenbar Bedarf, mittels einer weiteren Manipulation,
Besitzrechte an bisher nicht erwähnten Ortschaften zu gewinnen. Die erhobenen
Ansprüche auf die Zehnteinnahmen verschiedener Orte an der Spitze
diesmal Warsten mußten urkundlich abgesichert werden. Deshalb wurde,
ca. 70 80 Jahre nach ihrer Abfassung, an die Friedrich-Urkunde eine Zeile
angehängt: ´Die Zehnten zu Warstein, Belecke, Mülheim, Allagen,
Bergheim, Auf der Haar, Uelde, Ussen, Hewingsen, Deiringsen, Hiddingsen.´
Nach 1200 wurde diese Zehntenliste auch in die Gründungsurkunde des Klosters,
die Anno-Urkunde, nachgetragen. Dadurch wurden die Besitzansprüche nahezu
unanfechtbar, denn Bischof Anno II. war 1183 heiliggesprochen worden. Erst nach
1200 also erscheint in der selbst schon gefälschten Anno-Urkunde
der Ortsname Warsten, als ´Fälschung der Fälschung´.
Die genauen Hintergründe für dieses aufwendige und langwierige Fälschungsunternehmen
bleiben unklar. Es kann nur vermutet werden, daß eine Auseinandersetzung
zwischen dem Kloster Grafschaft und dem Grafen von Arnsberg eine Rolle gespielt
hat. Graf Gottfried II. von Arnsberg verzichtet 1214 auf den Zehnten zu Warstein,
zugunsten des Klosters Grafschaft. Die zeitliche Nähe der Ereignisse ist
verblüffend. Es spricht vieles dafür, daß im Streit zwischen
dem Grafen von Arnsberg und dem Kloster Grafschaft, mittels Fälschungen
in der Friedrich- und der Anno-Urkunde ein Ergebnis zugunsten des Klosters Grafschaft
erreicht wurde.
Das bedeutet: Die erste urkundliche Erwähnung Warsteins ist keinesfalls
auf 1072 zu datieren. Die erste sichere urkundliche Erwähnung erfolgt tatsächlich
erst 1214, mehr als 140 Jahre später, als in allen Darstellungen zur Warsteiner
Heimatgeschichte zu lesen ist. ´Urkundlich´; ist Warstein somit
wesentlich jünger, als bisher meist behauptet. Das bedeutet aber nicht,
daß es um 1072 Warstein noch nicht gegeben hat. Die archäologischen
Beobachtungen in Warstein-Altenwarstein deuten durchaus auf eine alte Siedlung
hin. Es wäre auch wenig wahrscheinlich, daß das Kloster Grafschaft
den Zehnten für Orte reklamiert hätte, von denen allgemein bekannt
war, daß sie 1072 noch gar nicht existierten. Warstein hat es im 11. Jahrhundert
sicherlich schon gegeben, urkundliche Hinweise auf Warstein gibt es jedoch erst
ab etwa 1200, also 130 Jahre später, als in Warstein allgemein angenommen.
Stefan Enste
2. Frage:
Gab es in Warstein schon vor der Stadtgründung eine Burg?
Von einer Burg auf dem Stadtberg wissen seit Joseph
Bender (1844) alle Warsteiner Heimatgeschichtsforscher zu berichten. B. Wiemeyer
und D. Lange wußten diese Burg sogar genauer zu lokalisieren: Sie soll
im Bereich des heutigen Zehnthofes gelegen haben. Weiterhin ist durchgehend
zu lesen, diese Burg sei 1254 vom Paderborner Bischof Simon zerstört worden.
Bender beruft sich dafür auf Ferdinand von Fürstenberg. Dieser war
1661 1683 Bischof von Paderborn und in hohem Maße historisch interessiert.
Er verfaßte ein Geschichtswerk, die sogenannten Monumenta Paderbornensia,
das 1672 erschien. Ferdinand berichtet einmal, daß der Paderborner Bischof
Simon im Bereich Salzkotten Befestigungen errichtet und nach einem feindlichen
Angriff Werl, Kallenhard, Warstein und Fürstenberg, im Jahre 1254, geplündert
hatte [...]. Weiterhin schreibt er zum Jahr 1276: Siegfried, Erzbischof
von Köln läßt, nach dem Zeugnis Gerhard Kleinsorgens, die im
vorigen Krieg zerstörten Befestigungen Fürstenberg, Werl, Warstein,
Kallenhard und Alme wieder aufbauen, umgibt sie mit neuen Befestigungswerken
[...]
Aus den Notizen zum Jahr 1254 kann keine Burg erschlossen werden. Für 1276
wird nur berichtet, daß zerstörte Befestigungen wiederaufgebaut worden
seien. Wichtiger ist aber der Hinweis auf Gerhard von Kleinsorgen, auf den sich
Ferdinand von Fürstenberg ausdrücklich beruft. Kleinsorgen ist einer
der frühen westfälischen Kirchenhistoriker. Seine Kirchengeschichte
von Westphalenentstand zwischen 1577 und 1584. Zum Jahr 1254 weiß er nur
zu berichten, Bischof Simon habe den Unterthanen des Erzstiftes in Westphalen
viel Schadens zugefügt Für das Jahr 1277 (nicht 1276!) schreibt
er: Um eben diese Zeit hat Sigefridus Erzbischof zu Köln, Herzog
in Westphalen, auch ein Schloß auf dem Fürstenberge, und die Städte
Warstein, Callenhart und Almen befestigen lassen.
Von einem Wiederaufbau schreibt Kleinsorgen nichts, es erscheint vielmehr so
zu sein, daß 1277 die genannten Orte erstmals befestigt worden sind. Eine
Burg, die es 1254 noch nicht gab, konnte selbstverständlich auch nicht
1254 zerstört werden.
Die Erwähnung der angeblichen Burg geschieht in einem größeren
geschichtlichen Zusammenhang. Die Erzbischöfe von Köln waren gleichzeitig
Kirchenfürsten und weltliche Herrscher. Jedoch waren das kirchliche und
das weltliche Territorium nicht deckungsgleich. Die Diözese hatte eine
viel größere Ausdehnung als das Territorium, in dem die Erzbischöfe
von Köln auch weltliche Herrscher waren. Die Erzbischöfe versuchten
daher, ihr Territorium auszuweiten, was den Widerstand der anderen weltlichen
Herrscher provozierte. Ein weiteres Ziel war die Ausdehnung des Territoriums
nach Osten, langfristig bis zur Weser. Diesen Bestrebungen stand das Bistum
Paderborn im Wege. Deshalb kam es im ganzen 13. Jahrhundert im Grenzbereich
zu Auseinandersetzungen.
Eine solche Auseinandersetzung war auch der Anlaß für die Vorgänge
des Jahres 1254: Der Bischof von Paderborn hatte bereits 1248 die Grenzstadt
Salzkotten sowie die bei Salzkotten gelegene Burg Vilsen befestigen lassen;
eine doppelte Provokation! Einmal die massive Befestigung im Grenzgebiet an
sich, dann aber verstieß die eigenmächtige Befestigung gegen die
Befestigungshoheit des Erzbischofs von Köln, der allein das Recht hatte
in Westfalen Befestigungen zu errichten oder zu genehmigen. 1248 einigte man
sich schließlich auf eine Niederlegung der Befestigung in Salzkotten,
die Anlage der Burg Vilsen wurde nachträglich genehmigt. Als der Erzbischof
von Köln 1254 in eine Fehde mit dem Grafen Walram von Jülich verwickelt
war, versuchte der Paderborner Bischof Simon die Gunst der Stunde zu nutzen.
Er versuchte erneut, Salzkotten zu befestigen.
Es mögen feindliche Übergriffe und Raubzüge des Paderborner Bischofs
in den Bereich des kölnischen Westfalens gewesen sein, die zu einem Bündnis
verschiedener südwestfälischer Adliger an der Spitze Graf Gottfried
von Arnsberg führten. Dieses Bündnis schlug 1254 in der Schlacht
auf dem Wulferskampe bei Dortmund das Heer des Paderborner Bischofs.Im Verlauf
dieser Schlacht wurde Bischof Simon gefangengenommen.
In einem Bericht rechtfertigen sich die südwestfälischen Adligen gegenüber
Papst Alexander IV. wegen der Gefangennahme Bischof Simons. Da die Gefangennahme
eines amtierenden rechtmäßigen Bischofs durchaus kirchliche Sanktionen
hätte herausfordern können, versuchen die Adligen, die Gefangennahme
als einen Akt von Notwehr zu erklären. Der eigentliche Anlaß für
die Auseinandersetzung, die Befestigung Salzkottens durch Bischof Simon, war
zwar ein Verstoß gegen die herzoglichen Rechte des Kölner Erzbischofs,
die Gefangennahme wäre damit aber kaum zu rechtfertigen gewesen. Erst die
Übergriffe auf das eigene Territorium lassen die Gefangennahme Bischof
Simons als gleichsam verzweifelten Akt zur Rettung der eigenen Grundherrschaft
erscheinen. Wenn tatsächlich die Zerstörung einer ganzen Reihe von
Befestigungen vorgefallen wäre, so hätten die westfälischen Adligen
das dem Papst gegenüber auf keinen Fall verschwiegen.
Welches Ausmaß diese Übergriffe hatten, läßt sich heute
nicht mehr ermitteln. Man kann vermuten, daß es sich bei diesen Übergriffen
um eine Erfindung der Koalition gegen Bischof Simon handelt, um sich selbst
als Opfer, Bischof Simon als Täter und die eigene Handlung als gerechtfertigt
erscheinen zu lassen. Das ist jedoch Spekulation.
Es mag also sein, daß Bischof Simon von Paderborn bei eventuellen Raubzügen
bis in den Warsteiner Raum vorgedrungen ist wenn diese Übergriffe
tatsächlich stattgefunden haben sollten. Eine Burg hat der Bischof in Warstein
jedenfalls nicht zerstört. Der Grund ist einfach: Es wird um diese Zeit
auf dem Stadtberg keine Befestigung, keine Burg, gegeben haben. Aus den vorhandenen
Schriftquellen kann jedenfalls nicht auf die Existenz einer Burg geschlossen
werden.
Fazit: Eine Burg auf dem Stadtberg hat es nicht gegeben, sie ist erst in den
Köpfen verschiedener Historiker entstanden und hat im Laufe der Überlieferung
immer konkretere Formen angenommen.
Stefan Enste
3. Frage:
Wann wurde die Stadt Warstein gegründet?
Nun ist es an der Zeit, sich Gedanken über die
wichtigste Frage in einem Jubiläumsjahr zu machen, sich der Frage nach
dem Jahr der Stadtgründung Warsteins zu stellen. In diesem Punkt herrscht
weitgehende Einigkeit: Warstein wurde 1276 gegründet, weshalb man bereits
1926 ein Jubiläum festlich beging, 650 Jahre Stadt Warstein. Wie schon
für die angebliche Burg in Warstein, muß auch hier wieder Ferdinand
von Fürstenberg als Gewährsmann herhalten: Siegfried, Erzbischof
von Köln läßt, nach dem Zeugnis Gerhard Kleinsorgens, die im
vorigen Krieg zerstörten Befestigungen Fürstenberg, Werl, Warstein,
Kallenhard und Alme wieder aufbauen, umgibt sie mit neuen Befestigungswerken.
Erstaunlicherweise wird mit diesem Satz das Jahr 1276 als Gründungsdatum
der Stadt Warstein begründet. Dabei ist hier nur von Wiederaufbau zerstörter
Befestigungen die Rede und nicht etwa von Stadtrechtsverleihung. Auch hier ist
wieder zu beachten, daß sich Ferdinand ausdrücklich auf Gerhard von
Kleinsorgen beruft. Kleinsorgen ordnet diese Vorgänge jedoch dem Jahr 1277
zu: Um eben diese Zeit hat Sigefridus Erzbischof zu Köln, Herzog
in Westphalen, auch ein Schloß auf dem Fürstenberge, und die Städte
Warstein, Callenhart und Almen befestigen lassen. Immerhin ist hier von
der Befestigung von Städten zu lesen, wenn auch nicht von ihrer Gründung
oder der Verleihung von Stadtrechten. Aber reicht diese Nachricht, um darauf
gegründet ein Jahr später Stadtgeburtstag zu feiern? Auf keinen Fall.
Warstein, Kallenhardt und Alme seien befestigt worden, schreibt Kleinsorgen.
Bis heute ist es nicht gelungen, den Zeitpunkt der Stadtgründung Almes
genau festzustellen. Sicher ist nur, daß Alme nicht vor 1350 Stadt geworden
ist. Für Kallenhardt kann man von einer Gründung in den 1290er Jahren
ausgehen (s.u.!). Warum sollte ausgerechnet allein für Warstein mit diesen
Worten eine Stadtrechtsverleihung gemeint sein? Ganz offensichtlich kann aus
der Notiz bei Kleinsorgen also nicht auf eine Stadtgründung im Jahr 1277
geschlossen werden.
1276/77 scheiden also definitiv als Jahre der Stadtgründung Warsteins aus.
Aber wann wurde die Stadt dann gegründet? Eine Urkunde von 1287 war schon
vor Jahren Stein des Anstoßes. Dort wird in einer Aufzählung Warstein
von den drei vorher genannten Städten Geseke, Rüthen und Werl durch
die lateinischen Wörte et de (´und´) abgesetzt.
Ganz unbefangen kann man das nur als einen Hinweis darauf verstehen, daß
Warstein auch 1287 eben noch nicht zu den kölnischen Städten gerechnet
wurde.
Hilfreich ist an dieser Stelle ein Blick auf die ´politische Großwetterlage´
im 13. Jahrhundert. Die Erzbischöfe von Köln versuchten in diesem
Jahrhundert massiv ihr Territorium zu vergrößern, verschiedene kleinere
Gebiete zu verbinden und einen Vorstoß nach Osten, zur Weser hin, zu führen
kurz: zur dominierenden Herrschaft Nordwestdeutschlands zu werden. Um
das Jahr 1276 war der Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg mit dem
Grafen von Jülich in eine Fehde verwickelt, die auch zu Kämpfen zwischen
dem Grafen von Arnsberg und dem Kölner Erzbischof führte. Nun war
aber die Kriegszeit nicht die rechte Zeit, um Städte zu gründen. Stadtgründungen
führte Siegfried von Westerburg ausschließlich in Friedenszeiten
aus.
1288 lösten die Vormachtsbestrebungen des Kölner Erzbischofes nun
eine große Entscheidungsschlacht aus, die Schlacht bei Worringen. Siegfried
von Westerburg wurde von seinen Gegnern vernichtend geschlagen. Alle Versuche,
ein Kölnisches Großterritorium in Nordwestdeutschland zu errichten
waren endgültig gescheitert. Siegfried bekam harte Friedensbedingungen
auferlegt, mußte zeitweise sogar um die Existenz seines weltlichen Territoriums
fürchten. In dieser verzweifelten Situation änderte Siegfried seine
Politik. Statt weiter zu expandieren, bemühte er sich nun um die Konsolidierung,
die Sicherung, des ihm verbliebenen Territoriums. Hier galt es vor allem, im
westfälischen Teil seiner Herrschaft Defizite aufzuarbeiten. Im Winter
des Jahres 1296 reist Erzbischof Siegfried nach Westfalen. In Rüthen traute
er seine Verwandte, Beatrix, Tochter des Rietberger Grafenpaares, mit Wilhelm,
dem Erben der Grafschaft Arnsberg. Am 16. Dezember 1296 verleiht er in Soest
der Stadt Belecke die Stadtrechte. Ein glücklicher Zufall hat eine spätere
Abschrift dieser Urkunde und somit auch die Kenntnis des Datums der Stadtgründung,
erhalten.
Eben dieses Datum, der 16. Dezember 1296, ist mit allergrößter Wahrscheinlichkeit
auch der Tag der Stadtgründung Warsteins (und der Gründungstag der
Stadt Kallenhardt).
Auffällig ist z.B. daß diese drei Städte annähernd gleich
groß sind: Alle sind auf einer Fläche von ca. 7 ha angelegt. Wichtiges
Indiz für die Gleichzeitigkeit der Gründungen aller drei Städte
ist ein Klageschreiben des Arnsberger Grafen Ludwig. Dieser beschwert sich darüber,
daß der Kölner Erzbischof die drei Städte Warstein, Kallenhardt
und Belecke in seinem Forst angelegt habe. Diese Beschwerde erscheint wenig
sinnvoll, wenn zwischen der Gründung der einzelnen Städte ein zu großer
zeitlicher Abstand gelegen haben sollte.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Warstein wurde in der Endphase des Pontifikats
des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg gegründet. Dieser
war durch die verschiedenen Auseinandersetzungen am Ende seiner Amtszeit so
geschwächt, daß er alle Pläne einer Erweiterung oder Vergrößerung
des Kölner Territoriums aufgeben mußte. Diese Pläne, mit denen
Siegfried angetreten war, waren gründlich gescheitert, weshalb er zum Ende
seiner Amtszeit zu Maßnahmen der Konsolidierung und Strukturierung seines
Territoriums überging. Zur Erschließung, Sicherung und Aufsiedlung
des Waldgebietes wurden am 16. Dezember des Jahres 1296 die Städte Warstein,
Belecke und Kallenhardt gegründet.
Stefan Enste
4. Frage:
Was ist aus Warstein und Belecke nach der Stadtgründung geworden?
Man könnte meinen, mit der formellen Gründung
von Warstein, Belecke und Kallenhardt am 16. Dezember 1296 hätte sofort
die Geschichte des Aufstiegs dieser Städte begonnen. Es gibt jedoch eine
hochinteressante urkundliche Nachricht, Belecke betreffend, die stutzig macht.
Im Jahr 1307 stellt der zweite Nachfolger des Kölner Erzbischofs Siegfried
Heinrich von Virneburg eine Urkunde aus, in der es heißt,
er habe beschlossen, auf diesem Berg und dieser Immunität Belecke
eine Befestigung oder Stadt zu errichten, wie es von unserem Vorgänger,
Erzbischof Siegfried von Köln, bzw. durch dessen und unseren Marschall
von Westfalen Johann von Plettenbracht begonnen worden ist, damit die dort wohnenden
Menschen, oder die, die sich dorthin zurückziehen, vor den Angriffen der
Feinde verteidigt werden können. Eine verblüffende Aussage:
Elf Jahre nach der formellen Stadtgründung gibt es auf dem Stadtberg in
Belecke noch immer keine Stadt! Erst elf Jahre nach der formellen Stadtgründung
beschließt man, diese Stadt nun endlich auch zu errichten!
Der Grund für diese Verzögerung ist heute nur noch zu vermuten. Wahrscheinlich
ist folgender Zusammenhang: Im Dezember 1296 hatte Siegfried von Westerburg
die Städte Warstein, Kallenhardt und Belecke gegründet. Aber nicht
einmal vier Monate später, am 7. 4. 1297, stirbt Erzbischof Siegfried.
Sein Nachfolger, Erzbischof Wikbold von Holte, verfolgte zu Beginn seiner Amtszeit
eine andere Politik, war insgesamt wenig nach Westfalen orientiert. Erst am
Ende seiner Amtszeit zwangen ihn kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Grafen
von der Mark, sich um den westfälischen Teil seines Territoriums zu kümmern.
Wikbold starb 1304 in Soest und ist dort im ´Patrokli-Dom´ beigesetzt
worden. Es liegt auf der Hand, daß ihm wenig an den drei kleinen Städten
lag, die sein Vorgänger mitten im tiefen Wald gegründet hatte.
Erst sein Nachfolger, Erzbischof Heinrich von Virneburg (1304/6 1332
Erzbischof von Köln) verfolgte die Politik seines Vor-Vorgängers.
Er mußte an der päpstlichen Kurie zwei Jahre lang auf seine Bestätigung
als Erzbischof von Köln warten, weshalb das Erzbistum bei seiner Rückkehr
in recht desolatem Zustand war. In diese Situation paßt das Aufgreifen
der Städte- und Burgenpolitik zur Konsolidierung des gefährdeten Territoriums.
Wenn nun schon die Stadt Belecke über zehn Jahre brach gelegen hatte, wie
sah es dann in Warstein aus? Es gibt einen deutlichen Hinweis, daß auch
die Stadt Warstein erst um das Jahr 1307 tatsächlich erbaut worden ist.
In einem um 1308 angelegten Verzeichnis der Abgabepflichtigen Kirchen und Kapellen
der Erzdiözese Köln, dem sogenannten ´Liber Valoris´,
wird für Warstein nur eine Kirche genannt. Nun wären eigentlich zwei
Kirchen für Warstein zu erwarten, die Kirche in Altenwarstein und die neue
Kirche auf dem Stadtberg, die heutige ´Alte Kirche´. Wenn der Liber
Valoris nur eine Kirche nennt, dann wird es in Warstein auch nur eine Kirche
gegeben haben. Das kann aber nur die Kirche im heutigen Altenwarstein gewesen
sein. Sie wäre wenigstens als ´Kapelle´ angeführt
worden, wenn es zur Zeit der Abfassung des Liber Valoris die ´Alte Kirche´
bereits gegeben hätte. Alles deutet darauf hin, daß in Warstein erst
um 1307 eine Stadtbefestigung und eine Kirche auf dem Stadtberg errichtet worden
sind.
Das fügt sich gut in ein Gesamtbild der regionalen Geschichte ein, das
mit den bisher angenommenen Daten zur Stadtgeschichte nicht zusammenpassen wollte.
Für das Jahr 1308 ist eine Urkundenabschrift überliefert, nach der
in eben diesem Jahr Junggraf Wilhelm von Arnsberg der Siedlung Hirschberg die
Stadtrechte verleiht. Lange Zeit ist diese Urkunde sogar für eine Fälschung
gehalten worden, denn erst 1340 gelang die Befestigung und Privilegierung Hirschbergs.
Nachdem vergleichende Studien schon vor fast 30 Jahren die Echtheit dieser Nachricht
nahelegten, ergibt sich nun auch ein stimmiger Zusammenhang. Der Arnsberger
Graf versuchte, durch die Gründung der Städte Hirschberg und Bergheim
(heute Niederbergheim) ein Gegengewicht zu schaffen, eine Antwort auf die direkt
an sein Territorium angrenzenden Neugründungen Warstein und Belecke. Daß
er dies ausgerechnet im Jahr 1308 tut, deutet darauf hin, daß auch die
tatsächliche Befestigung der Städte Warstein und Belecke eben erst
in diesen Jahren erfolgte.
Kurz darauf reagiert nun der Kölner Erzbischof. Er fordert seine Städte
auf, mit allen Mitteln gegen die Anlage von Hirschberg und Bergheim vorzugehen,
sie zu verhindern. Wie genau dieser Konflikt abgelaufen ist, wissen wir nicht;
das Ergebnis ist jedoch eindeutig: Weder Hirschberg noch Bergheim wurden 1308
befestigt. Erst 1340 bewilligte der Kölner Erzbischof die Gründung
und Befestigung Hirschbergs. Bergheim wurde nicht mehr zur Stadt erhoben, ist
unbefestigtes Dorf geblieben. Die Grafschaft Arnsberg war um diese Zeit so geschwächt,
daß für die wieder erstarkten Kölner Erzbischöfe von der
Neugründung Hirschberg keine Gefahr mehr für die nun bereits ´etablierten´
Städte Warstein und Belecke ausging.
Dieser Ausflug in die Umgebung Warsteins zeigt, welch positive Folgen eine kritische
Betrachtung angeblich gesicherter Daten haben kann. Wer an einer Gründung
und Erbauung der Stadt Warstein im Jahr 1276 festhält, verbaut sich den
Weg, die größeren Zusammenhänge der Geschichte unserer Gegend
zu erhellen. Und es zeigt sich noch etwas: Es lohnt sich, pseudowissenschaftliche
Geschichtslegenden aufzugeben! Denn die dann aufscheinende historische Wirklichkeit
ist weitaus spannender, als es die Legende jemals war.
Stefan Enste
5. Frage:
Hat das ´Stoht-op-Singen´ etwas mit den Zuständen in Warstein
vor der Stadtgründung zu tun?
Gern wird in Warstein der bekannte Brauch des ´Stoht-op-Singens´
mit den mittelalterlichen Zuständen vor der Stadtgründung in Zusammenhang
gebracht. So heißt es bei M. Schmitt dazu: Dieser Weckruf stammt
aus der Zeit vor 1300, als in Altenrüthen die einzige christliche Pfarrkirche
der Umgegend stand. Zwar hatte die Ursiedlung [also Altenwarstein] ein Gotteshaus,
dennoch mußten die Christen an bestimmten Feiertagen am Gottesdienst in
ihrer Mutterpfarrei zu Altenrüthen teilnehmen. Der sogenannte »Rüther
Weg« heute noch teilweise im Rüllweg präsent führte
die Gläubigen zur Mutterkirche. Mit dem »Stoht-op«-Singen weckten
wahrscheinlich die jungen Burschen die Bevölkerung, um zur Teilnahme an
der Auferstehungsmesse in der Altenrüthener Pfarrkirche zu animieren.
Merkwürdig, daß eine solche Ansicht aufkommen konnte! Wer den Brauch
betrachtet, wird keinen Hinweis darauf finden, daß mit dem Gesang zum
Kirchgang in Altenrüthen aufgefordert werden könnte. In der Osternacht
ziehen junge Männer durch den Ort und singen Steht auf, lobt Gott,
den Herrn!
Wer bereit ist, über den Warsteiner Kirchturm hinaus zu sehen, der wird
ganz ähnliche Bräuche der Osternacht immer wieder finden: In Wiedenbrück,
Rietberg, Langenberg, Herzebrock, Neuenkirchen, Delbrück (mit dem Liedruf:
Stohet up jung und olt, dainet Guod dem Heeren!), Welda, Wormeln,
Driburg, Brakel, Hallenberg, Rahrbach. Dabei muß man sich nicht einmal
auf den westfälischen Bereich beschränken. Aus dem Hochwald, einem
Teil des Hunsrücks wird berichtet: Alte Männer erzählen
mit Freude, wie sie als Kinder am Ostertag schon vor dem ersten Morgengrauen,
um 3 Uhr, aufgestanden seien, denn es galt, um ½4 Uhr schon zur »Auferstehung«
zu kleppern. Noch deutlichere Parallelen hat es in der Eifel gegeben:
In der Nacht von Karsamstag auf Ostern durchzieht die liebe Jugend noch
einmal das Dorf, klappert und ruft im Dialekt He, Leute, Leute steht auf, steht
auf, es ist Ostertag! Mit etwas anderem Akzent, aber doch mit gewissen
Ähnlichkeiten ist nächtliches Brauchtum selbst aus dem österreichischen
Bistum Gurk bekannt: es handelt sich um Volks-Kreuzwegandachten, die vielerorts
in Kärnten um 3 bzw. 4 Uhr am Morgen des Ostertages üblich sind und
an die sich da und dort eine österliche Prozession anschließt.
Welche Bewandtnis hat es also mit diesen verschiedenen Brauchtumsäußerungen
in der Osternacht? Zuerst ist auf das Schweigen der Glocken zu verweisen. Nach
dem Gloria-Gesang in der Messe des Gründonnerstags schweigen seit dem Mittelalter
traditionell die Glocken, um erst Ostern wieder zu erklingen. An die Stelle
der Glocken treten in dieser Zeit hölzerne Klappern oder Ratschen. Teilweise
wurden diese Lärminstrumente auf den Kirchtürmen untergebracht, doch
war ihre Reichweite vergleichsweise gering. Deshalb findet sich in unterschiedlichen
Formen der Brauch des Osterweckens. Mancherorts werden die Klappern mitgeführt,
andernorts werden die Klappern durch andere Lärminstrumente oder eben durch
einen Liedruf ersetzt.
Lärmendes Brauchtum ist in der Karwoche auch an anderen Stellen zu beobachten,
so einmal in der sogenannten ´Rumpel-´ oder ´Pumpermette´
am Vorabend des Gründonnerstags. Bei diesem Gottesdienst wurde am Ende
mit den schon erwähnten Klappern oder durch Rumpeln mit den Kirchenbänken
großer Lärm erzeugt. Im Hintergrund des ´Stoht-op-Singens´
könnte weiterhin die volkstümliche kirchliche Auferstehungsfeier am
Ostermorgen stehen. Auch hier spielt der Lärm eine gewisse Rolle, sowie
eine Prozession mit dreimaligem Umschreiten der Kirche (was auch für das
Warsteiner ´Stoht-op-Singen´ bezeugt ist).
Vereinfacht gesagt handelt es sich beim ´Stoht-op-Singen´ um eine
Mischform, in der Elemente des allgemein üblichen Glocken-Ersatzes mit
Elementen aus dem liturgischen Bereich sowohl der Rumpelmetten als auch vor
allem der Auferstehungsfeier zu einer neuen Brauchtumsäußerung zusammengewachsen
sind. Über das Alter dieses Brauchtums läßt sich nur sehr schwer
etwas sagen. Auch für Wiedenbrück wurde behauptet, es handle sich
beim dortigen Osterwecken um einen jahrhundertealten Brauch. Eine
genaue Untersuchung erbrachte jedoch, daß der Osterweckruf tatsächlich
erst im Jahr 1830 komponiert wurde. Hier könnte nur gründliche Archiv-Arbeit
vielleicht einen glücklichen Zufalls-Fund bescheren, der einen Hinweis
auf das Alter des Warsteiner ´Stoht-op-Singens´ geben könnte.
In die Zeit vor der Stadtgründung wird man kaum kommen. Die Parallelen
aus anderen Orten zeigen, daß sich solches Brauchtum zu jeder Zeit entwickeln
kann. Möglicherweise läßt sich eine Entstehung im Barockzeitalter
wahrscheinlich machen, in der allgemein das Passionsbrauchtum einen großen
Aufschwung nahm. Denkbar ist weiterhin, daß im Zeitalter der Aufklärung
die Form des Brauches ´überarbeitet´ wurde, was mehrfach
für volkstümliche Äußerungen im Umfeld der Liturgie bezeugt
ist. ´Unvernunft´ und ´Aberglaube´ sollten aus der Liturgie
und der Religion vertrieben werden.
Zum Schluß muß noch kurz auf die oben bereits erwähnte Behauptung
eingegangen werden, der historisch überlieferte Rüthener Weg finde
sich noch heute als ´Rüllweg´ im Warsteiner Stadtbild. Sprachlich
ist ein solcher Zusammenhang völlig unmöglich. Der Rüthener Weg
ist mehrfach urkundlich belegt, so 1429 als Ruder Weg. Es ist ausgeschlossen,
daß aus diesem eindeutig belegten Ruder Weg ein Rüllweg werden könnte.
Wer die Behauptung aufstellt, im heutigen Rüllweg stecke ein historischer
Ruder Weg, müßte aufzeigen, daß sich eine solche sprachliche
Entwicklung auch bei anderen Wörtern beobachten läßt. Das kann
aber sicher ausgeschlossen werden: niemals wird sich ein ´d´ zu
einem ´ll´ entwickeln. Was genau der Straßenname ´Rüllweg´
bedeutet, müßte sorgfältig untersucht werden. Sicher ist nur:
Mit Rüthen oder dem ´Stoht-op-Singen´ hat dieser Straßenname
jedenfalls gar nichts zu tun.
Stefan Enste
6. Frage:
Was bedeutet der Ortsname Warstein?
Über die Bedeutung des Ortsnamens Warstein gibt
es viele Theorien. J. Bender hatte im vergangenen Jahrhundert vermutet, man
könne Warstein als ´Wart-Stein´ deuten, was zu einer Befestigungsstadt
wie Warstein zu passen scheint. 1927 phantasierte F. Viegener, Warstein heiße
eigentliche ´Wostene´ und das bedeute ´in der Wüste/Öde
gelegen´. Noch 1987 läßt sich diese abwegige Erklärung
bei D. Lange nachlesen. Zwar gibt es eine Urkunde, in der das Wort ´Wostene/Wustene´
vorkommt, und tatsächlich meint dieses Wort eine ´Wüste´,
aber diese Urkunde bezieht sich nicht auf Warstein, sondern auf nicht lokalisierte
wüst gefallene Güter. Die germanomanische Wissenschaft im Umfeld des
Nationalsozialismus wollte im Ortsnamen sogar einen Hinweis auf einen vorgeschichtlichen,
´altgermanischen Versammlungsplatz´ finden. Ein weiterer Pseudowissenschaftler
übersetzte den Ortsnamen mit ´Wasser-Sumpfwasser´ und der Germanist
H. Kuhn versuchte, einen Zusammenhang zwischen der Wester und dem Ortsnamen
Warstein zu konstruieren. All diese Versuche können nicht wirklich überzeugen.
Ein sprachlich durchaus nicht ganz verkehrter ´Wart-Stein´ kann
es nicht sein, da die erste Siedlung mit Namen Warstein das heutige Altenwarstein
nicht auf dem Berg liegt, sondern, ganz im Gegenteil, eine Talsiedlung
ist. Der Versammlungsplatz scheitert daran, daß man Warstein mit Wersten
bei Düsseldorf verwechselt. Und der sehr verlockende! - Zusammenhang
von Wester und Warstein ist ebenfalls unmöglich. Die Wester wurde auch
in Warstein allem Anschein nach immer mit ´e´ geschrieben, mindestens
seit 1471. Die ´Wester´ ist eben der Bach, der im Westen fließt.
Es gilt, den Namen der Siedlung Altenwarstein zu deuten, einer Siedlung im Westertal.
Hier in direkter Nähe zur Wester ergibt sich eine interessante Möglichkeit,
die Silbe ´War-´ im Ortsnamen zu erklären. In verschiedenen
mittelalterlichen Urkunden bezeichnet ´war´ eine Einrichtung aus
dem wasserbaulichen Bereich, ein Wehr. Solche Wehre dienten wie noch
heute zum Stauen und Regulieren des Gewässers, aber auch
und das gibt es heute fast gar nicht mehr dem Fischfang. Diese sogenannte
´Sperrfischerei´ war früher weit verbreitet. So liegen urkundliche
Nachrichten aus dem 13. Jahrhundert vor, die wohl Fischfangwehre in der Möhne
erwähnen. Auch deuten Gewässernamen wie Bumecke (von ´Buhne´)
und Wermecke (von ´Wehr´) auf Fischereianlagen hin. Der Ortsname
Wormbach ist möglicherweise ebenfalls auf eine sehr alte Form des Wortes
´Wehr´ zurückzuführen.
Ein direkter Hinweis auf ein Wehr oder einen Fischzaun in der Wester im Bereich
Altenwarstein liegt in einer Urkunde von 1438/39 vor. Dort wird ein Gütertausch
schriftlich festgehalten, bei dem unter anderem auch 1½ Morgen
unter Alden Warsten neben der Slaghe getauscht werden. Diese ´Slaghe´
ist in heutigem Deutsch eine ´Schlacht´, also ebenfalls wie
vorher ´Buhne´ und ´Wehr´ - eine stauende oder zäunende
Anlage im Gewässer. Gerade im Bereich Altenwarstein macht eine solche Anlage
Sinn, denn hier kreuzt die Wester den verkarsteten Massenkalk. In trockenen
Monaten versickert die Wester in diesem Bereich vollständig in den Spalten
und Klüften des Gesteins. Würde dieser Bereich durch einen Fischzaun
gesperrt, könnte man verhindern, daß sich mit dem Wasser auch die
Fische zurückziehen; sie brauchten nach dem Versickern des Wassers nur
noch eingesammelt werden.
So gibt es also eine schlüssige Erklärung für das ´War-´
im Ortsnamen Warstein, eine Erklärung, die auch die Topographie der Siedlung
Altenwarstein berücksichtigt.
Schwieriger ist dann die Deutung des Grundwortes ´-sten´/´-stein´.
In den ältesten Erwähnungen wird Warstein durchgehend Warsten
geschrieben. Altsächsisch und mittelniederdeutsch ´sten´ ist
´Stein´, daran kann man (leider) kaum zweifeln. Aber was kann das
im Zusammenhang mit der oben vorgestellten Deutung des ´War-´ als
´Wehr´ bedeuten? Keinesfalls meint ´Stein´ in diesem
Zusammenhang einen Berg. Einen Hinweis könnte jedoch die Beschreibung eines
archäologischen Befundes geben. Bei der Ausgrabung eines Fischwehres in
der Dordogne in Frankreich wurde folgende Beobachtung gemacht: Alle Anlagen
bestanden aus V-förmigen montierten Zäunen, an deren spitzen Enden
sich Reusen, Netze oder Einhegungen für den Fang der Fische befanden. Als
Flügel fungierten Pfostenreihen oder Kalksteinblöcke [!], zwischen
denen Flechtwerkwände angebracht waren.
So wäre Warsten dann als ´Wehr-Stein´ zu verstehen, wobei dieser
Ortsname sich auf die Schlacht, das Wehr, also höchstwahrscheinlich den
Fischzaun (oder die Fischzäune) in der Wester bezieht, bei dessen Konstruktion
Kalksteinblöcke eine besondere Rolle gespielt haben.
Stefan Enste
7. Frage:
Was wissen wir über Ortschaften im Raum Warstein vor der Stadtgründung?
Wie vorher ausgeführt, wurde die Stadt Warstein
1296 gegründet und ab etwa 1307 auch befestigt und in größerem
Umfang besiedelt. Es liegt auf der Hand, daß um diese Zeit die größte
der Vorgängersiedlungen aufgegeben wurde. Diese Siedlung trug bereits den
Namen Warsten/Warstein und ist im Bereich Altenwarstein zu lokalisieren. Es
wird aber in der Umgebung Warsteins noch weitere Siedlungen gegeben haben, deren
Existenz und Lage wir heute nur noch aus verschiedenen Indizien erschließen
können. Archäologische Wüstungsforschung, die zum Beispiel im
Geseker Raum zu interessanten Ergebnissen geführt hat, ist in Warstein
bisher nicht betrieben worden. So bleiben als wichtige Wüstungsanzeiger
allein die Flurnamen.
B. Wiemeyer meinte neben Altenwarstein drei weitere Siedlungen erschließen
zu können: Edinghausen, Kesteringhausen und Toghausen. Jedoch gibt es für
Kesteringhausen und Toghausen keine überzeugenden Argumente. Die Namen
Kesterweg und Tokerweg geben nicht her, was Wiemeyer ihnen entnehmen möchte.
Der Kesterweg könnte möglicherweise eine sogenannte ´entrundete
Form´ eines Köster-/Koster Weges sein, also auf einen Familiennamen
oder den Kirchenküster hindeuten. Der Tokerweg heute verschwunden
erscheint urkundlich auch als ´Teckerweg´, was entweder auf
einen im ausgehenden Mittelalter in Warstein mehrfach bezeugten Familiennamen
Tecke hinweist, oder aber auf das lästige Insekt, die Zecke,
mittelniederdeutsch ´teke´.
Viel besser sieht es aber mit Wiemeyers erster Vermutung, Edinghausen, aus.
1515 taucht in einer Güterliste des Klosters Grafschaft die Flurbezeichnung
Edinckhußer Velde auf. Dieses Feld muß zwischen den
Steinbrüchen und dem Tüppel gelegen haben. Höchstwahrscheinlich
hat also auf dieser Höhe eine alte Siedlung namens Edinghausen gelegen.
Der Siedlungsname ist schnell erklärt. Es handelt sich um eine sogenannte
´-ing-Ableitung´ vom Personennamenstamm Ed-. Solche Personennamen
finden sich mehrfach in den alten Mönchlisten der Abtei Corvey, so etwa
Edo und Edulf. Der Ortsname Edinghausen bezeichnet die Siedlung (-hausen) der
Leute (-ing bezeichnet Zugehörigkeit) eines Mannes namens Ed-(o). Ganz
genauso sind die Namen der vielen ´-ingsen´ Ort auf der Haar gebildet.
Über 100 Warsteiner Flurnamen sind in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen
Urkunden überliefert. Aus ihnen kann noch auf einige andere Siedlungen
zurückgeschlossen werden. 1338 wird ein Berchof apud Warsten
genannt, ein ´Berghof bei Warstein´. Dieser Hof kann nicht innerhalb
der Stadtmauern gelegen haben, da ausdrücklich gesagt wird, der Berghof
liege ´bei Warstein´. Zu lokalisieren ist dieser Hof aus den Angaben
leider nicht, denkbar wäre aber vielleicht der Herrenberg.
1412 wird ein ´Bernynch-Hof´ genannt, der leider auch nicht lokalisiert
werden kann. Auch hier liegt, wie schon bei Edinghausen, eine -ing-Ableitung
von einem Personennamenstamm vor, hier vom Stamm ´Bern(-)´, der
in den Corveyer Mönchslisten in ebendieser Form begegnet. Es handelt sich
also um einen ´Hof der Leute eines Bern´.
Interessant ist der Flurname Enkerbruch. Wiemeyer hatte diesen Flurnamen mit
der Wüstung Edinghausen in Verbindung gebracht. Die älteste Form des
Flurnamens lautet 1575 jedoch Egenker Braucke. Hier dürfte
wieder eine -ing-Ableitung vorliegen, hier in einer auch anderswo beobachteten
Form ´-enk´. Der Personennamenstamm ´Eg-´ findet sich
in den Personennamen Eggricus oder Egino. Möglicherweise hat die verlassene
Siedlung also einmal ´Eginkhausen´ geheißen. Mit dem vermuteten
´Edinghausen´ hat diese Wüstung also wohl nichts zu tun.
Eine weitere interessante Flurbezeichnung ist ´Selro´, 1515 als
Seyllrodt genannt. Im gleichen Schriftstück werden, offensichtlich
in der Nachbarschaft, die Flurnamen Seelwydt und Seelwit
aufgeführt. Die Grundwörter der Flurnamen deute auf den Wald hin.
Das Grundwort ´-rodt´ bezeichnet eine Rodung, also den gefällten
Wald, das Grundwort ´-wydt/-wit´ ist ein untergegangenes Waldwort,
das ´witu´ gelautet hat. Es bedeutet schlicht ´Wald´.
Es ist im Neuhochdeutsch nur noch in der Zusammensetzung ´Wiedehopf´
erhalten geblieben. Das Bestimmungswort ´Seyll-/Seel´ könnte
man nun an das altsächsische Wort ´seli´ anschließen,
das ´Saal, Haus´ bedeutet. Auch hier könnten die Flurnamen
also die Erinnerung an eine untergegangene Siedlung erhalten haben.
Zum Schluß soll noch ein Name genannt werden: Wernynchove.
Diese Flur wird 1439 genannt und neben der Wiese Capelle in Alden Warsten
lokalisiert. In diesem Flurnamen hat sich offensichtlich der Name einer der
Höfe in der Ursiedlung Altenwarstein erhalten.
Es gibt also durchaus Hinweise auf Siedlungen, die vor und vielleicht auch noch
eine Zeit lang neben der befestigten Gründungsstadt Warstein bestanden
haben. Genaue Lokalisierungen sind abgesehen vielleicht vom Wernynchove
nicht möglich. Bestenfalls kann die Fläche der Wüstungen
auf einige hundert Meter genau eingegrenzt werden. An dieser Stelle wäre
eine archäologische Wüstungsforschung gefragt. Durch intensive Gelände-
und Baustellenbeobachtung könnten sicherlich Siedlungsflächen entdeckt
werden. Ganz ´nebenbei´ würden dabei auch Funde aus früheren
Epochen gemacht werden, die die dürftigen Kenntnisse zur Warsteiner Ur-
und Frühgeschichte aufbessern würden. Solche archäologische Grundlagenforschung
ist in Warstein schon deshalb dringend geboten, da durch Ausweitung von Neubau-
und Gewerbegebieten aber auch durch (unterschiedlich sinnvolle...) Verkehrsprojekte
ständig Flächen und damit unter Umständen eben auch Geschichtsquellen
unwiederbringlich zerstört werden.
Stefan Enste