Ein interessanter
Vergleich:
7Q5 und P. Oxy XXXVIII 2831
Der folgende Text ist ein Auszug aus meinem Buch "Kein Markustext in Qumran". Griechische Buchstaben wurden umschriftlich wiedergegeben.
Der Vergleich eines Menander-Fragments mit 7Q5
C. P. Thiede (Anm. 1)
verweist auf ein winziges Fragment einer Handschrift mit Menanders Komödie
Samia (= P. Oxy. XXXVIII 2831): (Anm. 2) "Dieses
Fragment ist 2, 4 cm * 3, 3 cm groß (also kleiner als 7Q5) und hat sechs
Zeilen, davon fünf mit sichtbarem Buchstabenbestand. Ediert wurde es von
dem britischen Papyrologen und Altphilologen E. G. Turner, der 19 Buchstaben
identifizierte (d. h. einen weniger als O´Callaghan für 7Q5)."
(Anm. 3) Doch schon hier ist Vorsicht geboten! Von
den 19 Buchstaben hat E. G. Turner nur zwei mit einem Punkt versehen, (Anm.
4) das heißt: 17 Buchstaben sind eindeutig identifiziert. Das
kann vom Fragment 7Q5 nicht gesagt werden, höchstens 12 oder 13 Buchstaben
können diese Sicherheit für sich beanspruchen.
C. P. Thiede schreibt weiterhin: "Dennoch ist unübersehbar,
daß dieses Fragment sehr viel weniger sichere Anhaltspunkte bietet als
7Q5. Vollständig sind nur das Allerweltswort "ti" in Zeile 2,
sowie das "idoy" in Zeile 5, dazu ein Wort, dessen Existenz man in
literarischen Texten dieser Zeit erst gar nicht wahrhaben wollte: "nh"
in Zeile 1." (Anm. 5) Jedoch ist noch etwas auf
dem Fragment zu erkennen, die Buchstabenkombination "knei". Es lag
auf der Hand, diese Buchstabenabfolge zum Wort "da]knei" zu ergänzen.
Damit ist jedoch der Bereich der ´Allerwelts-wörter´ verlassen.
Im Neuen Testament findet sich dieses Wort an zwei Stellen, in der LXX ebenfalls
an zwei Stellen. Wenn das nun mit dem einzigen sicher erkennbaren Wort im Fragment
7Q5 verglichen wird - dem "kai" in Zeile 3 - dann sieht der Befund
folgendermaßen aus: "kai" ist im Neuen Testament an 9018 Stellen
zu finden, in der LXX an 62231 Stellen. (Anm. 6) Das
zeigt schon, daß die Situation völlig anders ist, als es C. P. Thiede
glauben machen möchte. (Anm. 7)
Auf die Einzelheiten soll hier nicht eingegangen werden.
(Anm. 8) Fraglos gibt es trotz der geringen Größe
des Fragmentes und trotz der geringen Anzahl von Buchstaben eine Reihe von Abweichungen
vom anderswo überlieferten Samia-Text. Aber auch hier ist festzuhalten:
Das kann mit 7Q5 nicht verglichen werden. Das Menander-Fragment
stammt annähernd vom rechten Kolumnenrand. (Anm. 9)
Wenn man nun den Text dieses Fragmentes mit dem großen Samia-Kodex - P.
Bodmer XXV - vergleicht, fallen eben die Ähnlichkeiten viel stärker
ins Auge, als es die Unterschiede tun. Bei diesen Unterschieden handelt es sich
um echte Varianten, die durch das deutlich höhere Alter des Fragmentes
bedingt sein können. Es gibt zu den wenigen Zeilen des P. Oxy. XXXVIII
2831, der um die erste nachchr. Jahrhundertwende datiert wird, nur zwei weitere
Vergleichsstücke: Den Samia-Kodex P. Bodmer XXV aus
dem 3. Jahrhundert (Anm. 10) und P. Cairensis 43227
aus dem 5. Jahrhundert. (Anm. 11) Hier zeigt sich
bereits, wie gering die Vergleichsmöglichkeiten sind. (Anm.
12) Für das Neue Testament allgemein, aber auch für das Markus-Evangelium
speziell, ist die Vergleichsbasis ein wenig breiter. (Anm.
13) Wenn es also für eine Textstelle überhaupt nur drei Zeugen
gibt, dann sollte man mit Aussagen vorsichtig sein, wie sie C. P. Thiede mit
nicht geringem Pathos vorträgt: "Allerdings: Welche
Samia ist das denn? Mit dem Text, so wie er aus den anderen Belegen für
diesen Abschnitt überliefert ist, hat er zwar Erkennbares gemeinsam, doch
es überwiegen die Abweichungen. Der Apparat von F. H. Sandbachs Edition
der "Menandri Reliquiae Selectae" [...] bietet zu jedem der Verse
385 - 390 für das Oxyrhynchos-Fragment, das hier unter dem Siglum O 16
geführt wird, ausschließlich Varianten, bis dahin, daß dieses
Fragment für 385 - 387 auch noch eine andere Textabfolge bietet als der
ansonsten bekannte Text." (Anm. 14) Das
ist schlicht falsch. Es stimmt nicht, daß F. H. Sandbach für jeden
der Verse 385 - 390 Varianten verzeichnet, für 388 - 390 wird keine Variante
angeführt, für 387 ist es eine abweichende Interpunktion. Die ´andere
Textabfolge´ scheint auf einem Verständnisfehler von C. P. Thiede
zu beruhen. E. G. Turner hatte geschrieben: "The Oxyrhynchus scrap offers
a different sequence of parts for 385-7 (170-2)." (Anm.
15) Damit ist aber nicht eine Textumstellung gemeint, sondern eine andere
Verteilung des Textes auf die Akteure des Dramas (´parts´ = Rollen).
Das wird aus den weiteren Ausführungen E. G. Turners auch eindeutig klar.
Wenn es also nicht Nachlässigkeit im Lesen kritischer
Textausgaben ist, dann muß vermutet werden, daß es C. P. Thiede
hier um den ´Effekt´ geht, daß er Tatsachen irreführend
darstellt, um die eigene Position in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.
(Anm. 16) Beim Menander-Fragment: Abweichungen,
Varianten, andere Textabfolge und trotzdem allgemein akzeptiert - beim Fragment
7Q5: geringere Probleme, keine andere Textabfolge und trotzdem immer noch nicht
allgemein akzeptiert. Doch diese Rechnung geht eben nur dann auf, wenn man für
Menander ein wenig ´übertreibt´.
C. P. Thiede schließt aus solchen Vergleichen: "Wenn
man den Papyrologen erlaubt, ihr Handwerkszeug unbelastet durch die Vorurteile
anderer einzusetzen, geraten sie nicht in die Falle der Doppelmoral. Der Text
auf 7Q5 umfaßt die Verse Markus 6, 52 - 53 - nicht nur mit derselben,
sondern sogar mit größerer Gewißheit, als wir sagen können,
daß P. Oxy XXXVIII 2831 aus Menanders Samia oder P. Masada 721a aus Vergils
Aeneis stammen." (Anm. 17) Angesichts der oben
ausgeführten Details zu den ´Vergleichsstücken´ erübrigt
sich jeder weitere Kommentar zu solch unsinnigen Behauptungen.
Anmerkungen:
1. |
Als Vergleichsstück erscheint P. Oxy. XXVIII 2831
bereits 1977 bei O´Callaghan, J.: 7Q5: Nuevas consideraciones. S.
43 f. Davon ist jedoch bei C. P. Thiede nichts zu lesen. Der Autor schmückt
sich hier mit fremden Federn. (zurück)
|
2. |
Ausführliche Edition durch Turner, E. G.: Menander,
Samia. (zurück)
|
3. |
Thiede, C. P.: Die älteste Evangelien-Handschrift?
S. 49. (zurück)
|
4. |
Die beiden Rekonstruktionsbuchstaben sind dabei auch ohne
einen vorausgesetzten Text einsichtig rekonstruiert: die Spitze eines
"d" ist deutlich zu erkennen, allein ein "l" könnte
hier noch vorstellbar sein; für ein "i" spricht die Tatsache,
daß eindeutig ein Trema zu erkennen ist, das eben meist über
"i"oder "y" gesetzt wird (vgl. Rupprecht, H. A.: Kleine
Einführung. S. 22). Zusammengenommen ergibt sich mit "idoy"
ein sinnvolles Wort. Sogar das Trema ist an dieser Stelle typisch, ein
"inorganic" Trema, "very often simply to mark an initial
vowel"; Turner/Parsons: Greek Manuscripts. S. 10. (zurück)
|
5. |
Thiede, C. P.: Papyrologische Anfragen. S. 68. (zurück)
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6. |
Zahlen wurden mit Bible Works 4.0 ermittelt. (zurück)
|
7. |
Nur nebenbei sei noch bemerkt, daß die Recherche
nach der Buchstabenkombination "knei" in der TLG-Datenbank 2958
Fundstellen für die gesamte griechische Literatur ergab, die in dieser
Datenbank erfaßt ist. Eine Recherche nach "kai" hätte
jeden zeitlichen Rahmen gesprengt. (zurück)
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8. |
Zu philologischen Fragen und Interpretation der Stelle
vgl. Blume, H. D.: Menanders "Samia". S. 148 - 150; ders.: Menander.
Leider geht er auf die textkritischen Fragen zur Stelle nicht ein, was
aber anzeigt, daß die textkritischen Probleme nicht allzu schwerwiegend
sind. (zurück)
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9. |
Ein Vergleich mit dem Samia-Kodex P. Bodmer XXV zeigt,
daß vermutlich weiter rechts noch eine Angabe der im Drama sprechenden
Personen gestanden hat. Vgl. P. Bodmer XXV. S. 50. (zurück)
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10. |
Vgl. Kasser, R.: Papyrus Bodmer XXV. S. 18. (zurück)
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11. |
Vgl. Pöhlmann, E.: Einführung in die Überlieferungsgeschichte.
S. 143, Anm. 73. (zurück)
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12. |
Zu den Besonderheiten der Samia-Überlieferung vgl.
Luppe, W.: Neue Erkenntnisse. S. 106. (zurück)
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13. |
Vgl. z. B. die Tabelle bei Aland/Aland: Der Text. S. 134
f. (zurück)
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14. |
Thiede, C. P.: Papyrologische Anfragen. S. 69. (zurück)
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15. |
Turner, E. G.: Menander. S. 188. (zurück)
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16. |
Der Verständnisfehler C. P. Thiedes wird auch in
der englischen Übersetzung des Eichstätter Tagungsbeitrages
deutlich. Ders.: Christianity and Qumran. S. 182: "The apparatus
of F. H. Sandbach´s edition of Menandri Reliquiae Selectae 2nd edition,
Oxford 1990, 248, offers variants for every verse from 385 to 390 [...],
and these variants go so far that for fragment [sic!] 385 to 387 they
offer a sequence of text different from the usual reading." Bei dieser
´Rückübersetzung´ hätte man doch wohl bei der
Terminologie E. G. Turners bleiben können. (zurück)
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17. |
Thiede, C. P.: Der Jesus Papyrus. S. 72 f. (zurück)
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